Tut einfach nur weh

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Das muss auch Luise lernen, die melancholische, vom Leben hoffnungslos überforderte Heldin in Sarah Kuttners zweitem Roman „Wachstumsschmerz.“ Eigentlich sollte sie erwachsen werden – doch das fällt schwer.

Bereits auf Seite eins hat Sarah Kuttner ihre Konkurrentin Charlotte Roche überholt. „Wachstumsschmerz“ beginnt mit einer Toilette, die deutlich nach Exkrementen riecht. Zu dem Zeitpunkt war „Schoßgebete“ noch relativ harmlos beim Ehesex mit Heizdecke und dem ewig gleichen Mann. Sarah Kuttners Heldin Luise aber, Anfang 30, Herrenschneiderin, Gelegenheitsmodel und -schauspielerin, sieht sich mit Lover Flo eine Altbauwohnung an und steht nun im stinkenden Abort, während die Vormieterin, vermutlich Grund der Geruchsbelästigung, über Asien palavert, wohin sie auswandern will, unbedingt.

Dass es nun so derbe riecht, in dieser eigentlich „okayen Wohnung“, das verstößt laut Luise gegen den „modernen Regelkatalog“ einer anständigen Wohnungsbesichtigung, der in ihrem Mittelstandsweltbild beinhaltet: „ein bisschen aufräumen, keine Schlüpfer rumliegen lassen und nicht kurz vor dem vereinbarten Termin kacken gehen, ohne zu lüften.“ Augenscheinlich geht dieser Luise das Leben der Anderen schnell auf den Keks. Wenig später taucht in ihrem Zusammenhang das Wort „Feenstaub“ auf, den wiederum Luise um sich herum verstreut.

Luise will mit Flo zusammenziehen, der währenddessen ganz glücklich in seinem Singleheim lebt und am liebsten einen Rückzieher machen würde. Er fügt sich unbehaglich, ein Gefühl, das er wiederum mit Luise teilt, wenn die zum Beispiel ihren mürrischen Vater besucht: „Als müsste ich nach dem Abendessen meine Zähne putzen und ins Bett“. Sie fühlt sich unwohl auf Hochzeiten und bei Castings, in Gesprächen mit ihrer Agentin und wenn sie den wahren Restwert ihres Ikea-Billigmöbelensembles addiert. Alles wertloser Tand.

Das Leben nervt. Um-die-30-Sein nervt. Erwachsenwerden nervt. „Was ist aus den klaren Ansagen von Fabel und Märchen geworden?“ Selbst Erinnerungen an Überreste des Twentysomething-Lebens von vorgestern – die reinste Pleite. „Jetzt, zehn Jahre nach dieser Hysterie, bekommen wir den Kater, der uns zusteht. Wir haben mit jedem gevögelt, wir haben unsere billigen Turnschuhe zertanzt, die erschnorrten Drogen machen uns inzwischen Kopfschmerzen, und das erste Auto kommt nicht mehr durch den TÜV.“

Luise ist eine nervöse Zicke, die immer noch in der Kategorie des „ersten Mals“ denkt: „Haben leere Umzugskartons in den Keller gebracht (erstes Mal Keller!), haben das Bett bezogen (erstes gemeinsames Bett!), geduscht (erstes Mal Körperhygiene im neuen Bad“ und so weiter. Diese Sehnsucht, etwas als „das Erste“ bezeichnen zu können, ist Teil des Wachstumsschmerzens, den Luise zelebriert. Doch wo nur „Galileo-Wissen“ ist und keine echte Haltung zum eigenen Leben, kreist dieser Schmerz unaufhörlich weiter im Hirn, das vom vielen NEON-Lesen eh ganz matschig geworden ist.

Zum Inhalt des Buchs passt sein flapsiger Ton und wirklich weh tut hier nichts. Vielleicht besteht die größte Zumutung dieses Luise-Daseins tatsächlich in einem ungelüfteten Bad, was man auch so lesen kann: Da steht jemand in einem Charlotte Roche-Umfeld und fühlt sich unwohl, hat aber nicht die Phantasie, sein eigenes Leben dagegenzustellen. Man stelle sich einfach mal vor, der naive Spongebob-Schwamm würde in einem Film von Quentin Tarantino landen („Inglourious Basterds“). Dann wird er auch noch ignoriert. So ungefähr fühlt sich die Geschichte von Luise in „Wachstumsschmerz“ an.

(Sarah Kuttner: „Wachstumsschmerz“, Fischer, 282 Seiten, 16,99 Euro / Das ungekürzte Hörbuch erscheint bei Argon, 5 CDs, 323 Minuten)

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