Seit Jahren wird die Veganwelle von einer Bücherschwemme begleitet. Jonathan Safran Foer schreibt „Tiere essen“, Karen Duve startet den Selbstversuch „Anständig essen“. Und so weiter. Es gibt vegane YouTube-Channel und -Reihen (TheSweetestVegan und VeganForFit), vegane Mode (Umasan), vegane Musik ist seit Straight Edge kein großes Ding mehr. Aber Fleisch ist mehr als Whitewashing für Chris Martin, den Gemüsebono der Nuller Jahre. 

Daran erinnert der Popkulturreader „Testcard“ aus dem Mainzer Ventil Verlag mit Aufsätzen über „Männliches Fleisch und weibliches Gemüse“, über den Zusammenhang zwischen Body Modification und Formfleisch, über „Veggies in Sitcoms“ und einer „Text-Kontext-Analyse zu Lady Gagas Fleischkleid“. Man schaut zurück bis der Leib Christi erscheint, wenigstens aber bis 1985, als „Meat is Murder“ von The Smiths rauskommt. Seitdem hat sich viel getan. Die „Human-Animal-Studies (HAS) etablieren sich in den Akademien.

Die Tierrechtsorganisation PETA wirbt damit, dass Vegetarier besseren Sex haben und „für die populäre Kampagne Lieber nackt als im Pelz posierten nackte Models und Prominente als Botschafterinnen. Diese Kampagne bediente inhaltlich wie auch ästhetisch die üblichen Stereotype, um für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen: junge, weibliche, nackte Idealkörper prominenter Frauen.“ – In den ersten Straßenbordellen des 19. Jahrhunderts wurden die Huren in Schaufenster ausgestellt und von kleinen Spots angestrahlt, wie die Schweinehälften, die ein paar Ecken weiter in der Metzgereiauslage hingen.

Und „mit ihrem Fleischkleid verortet sich Lady Gaga gleich in mehreren Diskursen; im Rahmen der MTV Video Music Awards etwa im Kontext Pop, wo Fleischbeschau längst zum Alltag geworden ist, denn [d]as weibliche Fleisch ist eine starke Ressource. Lady Gaga macht aus der metaphorischen Fleischbeschau eine konkrete und präsentiert sich mit Fleischlappen behangen.“ Das ist dann schon schwer durch den Diskursfleischwolf gedreht. Fest steht: Das tierische Fleisch in Zeiten des fortschreitenden Veganismus hat keinen guten Leumund. Doch bizarrer Weise hat die Popkultur das menschliche, tierische, persönliche, synthetische Fleisch in all seinen Erscheinungsformen integriert – auf derart umfassende Weise, dass sich die 304 testcard-Seiten mühelos füllen und abwechslungsreich präsentieren: Wie die Auslage einer Landschlachterei vorm Osterwochende.

Der Band geht ebenfalls auf den feministischen Essay „Fleischmarkt“ der Britin Laurie Penny ein – ein Buch, das ich am liebsten vor meiner Freundin verstecken würde. Die sehr junge (26) und sehr kluge Bloggerin beschreibt, wie männliche Begierde den weiblichen Körper geschaffen hat, wie die Entwertung des weiblichen Fleisches durch Hausarbeit dem kapitalistisch gewollten Patriarchat in die Hände spielt, aber auch: weshalb der Satz „nichts schmeckt so gut wie sich Dünnsein anfühlt“ Schwachsinn ist (Laurie Penny war einst magersüchtig).

Dieses Buch ist ein kulturgeschichtlicher Rundgang, der sich fragt, wie sich das steinzeitlichen Matriarchat in eine frauenunterdrückende „Men’s World“ verwandeln konnte, in der die gute Frau ihr Heim sauberzuhalten hat, in der lustvolles, weibliches Verhalten sanktioniert wird: „Sexualisierung ist schön und gut, wenn Eltern aus der Mittelklasse kistenweise Champagner für den 16. Geburtstag ihrer pubertierenden Sprösslinge ordern, aber schlichtweg unerträglich, wenn Kids aus der Arbeiterschicht versuchen, sich mit Hip-Hop und Sex die Kante zu geben.“

Womit Laurie Penny schnell bei den „asozialen Teenagermamis“ ist. – Ein Recht auf Macht über das eigene Fleisch, die persönliche „Fleischlichkeit“, das propagiert dieser sehr kluge, weil zugleich die von vielen Feministinnen verneinten Rechte von Transsexuellen debattierende Essay. Nur: Was sagt er Männern, die Frauen nicht auf die geistige Waage stellen, zu Hausarbeit verdammen, die entgegen des von Laurie Penny beschrieben Mainstreams kochen können, die selbst vom Kapitalismus ausgebeutet werden (wie wir alle?).

Aber das war schon vor Jahren eines der Einfallstore gegen Charlotte Roche, die in Bücher wie „Feuchtgebiete“ den unterdrückten „female body“ als „Fleisch“ beschreibt, das entsakralisiert werden soll. Auch deshalb beschreibt die Heldin im Buch den unterschiedlichen Blick auf das weibliche Geschlechtsorgan auf eine geradezu metzgerartige Weise: „Die Frau sieht nur ein kleines Büschel Haare da abstehen und eventuell zwei Hubbel, die die äußeren Schamlippen andeuten. Der Mann sieht ein weit aufgerissenes, geiles Maul mit Fleischzotteln überall dran.“ Das also ist der Gegensatz zu den Photoshop-Pics von weiblichem Fleisch aus der #Aufschrei-Werbung. Ob es der Weg aus der vermuteten Knechtschaft ist, kann als Mann nur beobachtet, nicht entschieden werden.

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„Fleischmarkt“ und „Testcard“ in 1LIVE Plan B mit Christiane Falk (14.2.2013)

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