Stewardessenklischees

„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!“ In Alexa Hennig von Langes Roman „Risiko“ steht diese Wahrheit unmissverständlich im Raum – mit besten Begründungen. Denn sind alle Grenzen überschritten, bricht das spießigste Vorortleben blutig entzwei. Soetwas bedeutet Krieg im Idyll.

„Das Wichtigste ist, die Objekte, die in den Körper eingedrungen sind, nicht sofort zu entfernen“, erklärt Vater Erik seinen beiden Kindern Greta und Matti. Täglich proben sie den paramilitärischen Ernstfall im heimischen Garten, mit Hindernisjogging, Überlebenstraining, spartanischen Kriegsparolen. Für letzte Rückzugsmöglichkeiten mauert Erik im Keller einen massigen Panic Room.

Der Kollege ist, ebenso wie die meisten Figuren in Alexa Hennig von Langes „Risiko“, ein klarer Fall für 1LIVE-Moderator Domian. Während Erik seinen Kinder das Rundum-Sorgen-Paket verabreicht, vertieft Ehefrau Lilly ihre erotischen Kenntnisse mit Ex-Freund und Nachbar Helge und erfüllt ein bekanntes Stewardessenklischee. Wären die beiden Familien Körper: Fremdobjekte fänden sich reichhaltig. Das kann nicht gutgehen.

Die Katastrophe kündigt sich an, als Irene, die ebenso eifersüchtige wie manische Gattin Helges, vom Seitensprung ihres Mannes erfährt und schwere Geschütze in Stellung bringt. Sie greift zur weiblichen Taktik. Denn sie verrät dem gehörnten Erik nichts. Stattdessen schmeißt sie sich an Lilly ran. Die Verrückte verfolgt ihre Nebenbuhlerin bis nach Toronto, campiert vor der Hotelzimmertür und entführt, wieder daheim, die beiden Kinder Greta und Matti. Sie will Rache. Dafür ist anscheinend jedes Mittel recht – auch wenn eines dieser Mittel Mord bedeuten würde.

Panisch verbünden sich Erik, Helge und Lilly, suchen gemeinsam nach den kleinen, unschuldigen Kindern. Dann geschieht das Unfassbare… Alexa Hennig von Lange, die 1997 mit dem Pop-Porno-Roman „Relax“ debütierte, legt nun einen glänzend geschriebenen Familienthriller vor. „Risiko“ beschreibt düster, wie ein simpler Fehltritt flutwellenartig sicheres Terrain überflutet und blühendes Leben vernichtet. Tatsächlich ist die Seitensprung-Szene nur wenige Sekunden kurz. Das daran angeschlossene, tagelange Drama steht also in keinem Verhältnis zum schwachen Moment der beiden Fremdgeher. Dieser Moment wirkt wie ein Katalysator, beschleunigt den längst eingetretenen Verfall beider Familien.

Die Fremdkörper steckten zu lange in den kranken Körpern. So bekennt Irene schon auf den ersten Seiten: „Ich empfinde gar nichts, wenn Helge nackt vor mir steht. Nichts. Da könnte genauso gut ein Sofa stehen.“ Lilly flüstert: „Manchmal denke ich an Selbstmord.“ Und Erik denkt über einen GPS-Sender nach, den er seinen Kindern unter die Haut pflanzen möchte. Was zeigt: Für die meisten Fremdkörper sind wir selbst verantwortlich.

(Alxa Hennig von Lange. „Risiko“, Dumont, 252 Seiten)

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