Sterben nicht, aber…

Ich verdiene mein Geld beim öffentlicht-rechtlichen Radio, aber ich bin auch Zeitungsjournalist und Zeitungsabonnent. Denn ich mag Nachrichten von gestern. Ich mag das Gedruckte. Ich bin mir sicher, dass ohne freie Zeitungen mein (Arbeits-)Leben ärmer, weniger abwechslungsreich wird.

Keinem Kollegen wünsche ich die Arbeitslosigkeit und „sterben gehen“, wie man es im Netz so oft hört sollen sie bitte auch niemals. Dennoch verstehe ich die taz nicht mit ihren heute groß angeführten Titelseitengründen für den Printjournalismus (in dem ich mal wieder mit dem Argument beleidigt werde, nur Printjournalisten könnten sorgsam recherchieren – dabei werde ich ständig schief angesehen, wenn ich irgendwo erzähle, dass ich bislang jedes von mir vorgestellte Buch bis zum Ende gelesen habe – ja, auch für 2:30-Minüter). Sorgfalt liegt nicht am Medium – und die meisten Printkollegen würden auch nicht unterschrieben, was ihnen die Verleger ins Blatt diktieren. Wie gesagt: Wir sind Kollegen. Kein Grund uns gegenseitig anzumachen. Da ich gleich noch lesen muss, hier eine Auswahl aus der taz in gebotener Netzkürze:

Grund 2: „Weil eine Zeitung nicht kaputtgeht, wenn sie runterfällt.“ – Und das Internet geht kaputt, oder wie? Auf meinem iphone kann ich sogar im Regen lesen… Grund 3: Ich finde Druckerschwärze an den Fingern auch nicht sexy, sie nervt. Grund 5: „Um Hitlerbärte auf Politikerbilder malen zu können.“ Das klingt fast wie eine Linksalternativenkarikatur von Tommy Jaud – die trinken Tee und malen dabei Hitlerbärtchen auf Politikergesichter. Grund 8, 18, 10, 31: Wir brauchen Zeitungen, um „Schuhe auszustopfen“, zum „Umzugsgeschirr einwickeln“, als „Fächer“, um „Fliegen zu erschlagen“ – Schuhe stopfe ich nicht mit Zeitungspapier aus, wegen der Druckerschwärze, für Fliegen muss man sich freilich was einfallen lassen, eine Klatsche aus Plastik oder so, das müsste mal jemand erfinden, nur der Fächer, der ist ein Argument, weil Ventilatoren keinen Ersatz bieten, denn, Grund 20: „Weil Zeitungen keine Batterie brauchen“. Grund 16: „Frühstück ohne Zeitung ist wie Sex ohne Orgasmus.“ – Stimmt der Satz: „Schatz, es war TROTZDEM schön“, also nicht mehr?

Dann geht es in Grund 12 um das stürmische „Online-Meer“ (wieso eigentlich der Bindestrich?). Grund 13: weil Zeitungen „angenehmer für die Augen“ seien (deshalb lesen fortschrittliche Rentner auch niemals digital, denn bei der gedruckten Zeitung können sie bekanntlich die Schriftgröße einstellen). Grund 1 und 29: „Damit es morgens beim Frühstück raschelt“ und „Weil nur Blätter rauschen“. Es geht um „Qualitätsinseln“ (Grund 12), um Entschleunigung (Grund 15), um „gute, hintergründige Infos“ (Grund 19), immer wieder um das Basteln (Grund 21 und 23), um den Geruch einer frisch gedruckten Zeitung (Grund 24) – meine Zeitung riecht, nachdem sie durch ganz viele Packer- und Austrägerhände gewandert ist, nach: nichts. Grund 28: „Weil die aktuelle Ausgabe ein super Geburtstagsgeschenk für Neugeborene ist“ – ich weiß, es wäre nun schön abrundend, ein „geht sterben“ zu schreiben. Aber das will ich nicht. Ich will doch nur, dass das aufhört, dieses schlechte Argumentieren, dieses ständige Titeln mit süßen Hunden und rührseligen Headlines. Wenn das so weiter geht, steige ich komplett aufs Internet um – einen gedruckten Zeitungsartikel kann man nämlich nicht wegklicken.

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