Spione im Tweet

Seit einiger Zeit probieren Schriftsteller das Twitter-Format aus, 140 Zeichen kurze Texte wie Florian Meimberg mit seinen tiny_tales oder @Vergraemer mit seinen Sarkasmen. Die erfolgreiche New Yorker Schriftstellerin Jennifer Egan  (Pulitzer Preis für „Der größere Teil der Welt“) treibt in ihrem neuen Projekt die sogenannte „Twitterature“ (ein Mix aus Twitter und Literatur) noch etwas weiter.  Ihre Story wurde getwittert und erschien erst zum Abschluss als Ganzes im New Yorker: „Das ist natürlich keine neue Ideen aber sie lässt sich vielfältig ausschöpfen – denn es hat etwas sehr Intimes, Menschen über ihre Handys zu erreichen und mit 140 Zeichen kann erstaunliche Poesie entstehen“, sagt die Autorin, „Mir fielen dazu eine Reihe knapper Mitteilungen ein, die eine Spionin aus der Zukunft, die irgendwie am Mittelmeer einen Undercover-Einsatz bestreitet, gedanklich übermittelt.“

Entstanden ist auf diese Weise das erstaunlich aufregende Protokoll einer nicht näher beschriebenen Agentin, die sich mit erotischen Mitteln in die Kreise eines mächtigen Mannes einschleicht und die ganze Zeit das neue Leben in kurze Sentenzen packt, in Gedanken, die sofort an eine Zentrale übermittelt werden. Sie beschreibt nicht, was sie genau macht, sondern was ihre neue Umgebung in ihr auslöst: „Wachteln isst man, indem man sie mit den Händen auseinanderreißt und das Fleisch von den Knochen lutscht“ – „Ein erstaunter Gesichtsausdruck verrät, dass dein Gastgeber die Verwendung von Besteck erwartet hat.“ Oder auch: „Du bist sehr schön, kann durchaus ehrlich gemeint sein“ – „Ebenso: ich will Dich ficken.“ Gerade eben weil anfangs unklar ist, weshalb die Heldin auf einen „mächtigen Mann“ angesetzt ist, wie ihre Mission ausschaut, weil alles durch ihren Ohrsender und die Beschreibungen der Innenaugenkamera vermittelt wird, bekommt „Black Box“ etwas Unheimliches, am Ende sogar Atemraubendes. Extrem laut und unglaublich nah.

Jennifer Egan: „Black Box“, übersetzt von Brigitte Walitzek, Schöffling & Co., 92 S., 9,95 Euro

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