Rezension: Schlafes Bruder

Die junge Pola kann die Zeit anhalten, wie ein Polaroid-Foto und Janek, der kommt ihrem Geheimnis auf die Schliche. Stefan Petermann erzählt in seinem Debütroman “Der Schlaf und das Flüstern” von Übernatürlichem – zum Beispiel von der großen Liebe. 

Im Interview antwortet Stefan Petermann auf die Frage, was er machen würde, wenn er wie seine Heldin die Zeit anhalten könnte: “Dinge kurz vor dem Aufprall anschauen. Situationen, die gewöhnlich scheinen, genauer betrachten. Meine Vorstellung von gutem Geschmack während des Stillstands verbreiten. Dazu sämtliche Tonträger mit Cat Stevens “Father And Son” vernichten. Inklusive Coverversionen. Bei Großveranstaltungen menschliche Dramen betrachten und erahnen.” Dabei sticht natürlich die krawallige Vernichtung von Cat Stevens alias Yusuf Islams scheußlich-klebrigem Kuschelrockklassiker hervor.

Es ist diese besonders ironisch gebrochene Art, die Stefan Petermanns “Der Schlaf und das Flüstern” zu einem beachtlichen Debütroman qualifiziert. “Ich erzähle eine Geschichte vom Vergehen der Zeit, von Macht und Ohnmacht”, sagt Stefan Petermann, “Pola verfügt über die besondere Gabe, die Zeit anzuhalten. Doch betrachtet sie ihre Fähigkeit als Spiel, in dem sie Menschen sowohl zum Gutes wie auch zum Schlechten manipulieren kann. Nach dem Tod ihrer Eltern trifft sie auf Janek. Janek ist ein zwielichtiger und gleichzeitig charismatischer Mensch, der gern das Leben anderer beeinflusst. Zwischen beiden entsteht eine eigentümliche Beziehung, welche sie bis an die Grenzen des Vorstellbaren bringen wird.

Pola und Janek reisen später Katastrophen hinterher, halten die Zeit an, um Menschen zu retten, bevor sie von einer Lawine begraben, von Dachziegeln erschlagen werden. Es ist ein pragmatischer Umgang mit einer ganz und gar phantastischen Gabe, die in friedlichen Momenten einen ganz besonderen Blick auf die Welt erlaubt: “Ich sah niedergedrückte Klaviertasten, die keine Musik spielten, zementierte Kleiderfalten, verstummtes Kleiderrascheln, Händeklatschen, stolpernde Absätze, Ohrringe in der Bewegung gefangen, Kerzenlicht und aufgepumpte Halsschlagadern, Speichelfäden, die sich zwischen Mündern spannten, Zungenspitzen, die leicht an Zahnreihen anschlugen, Handgelenke, unsicher nach außen gedreht und Reflexionen, für immer in Brillengläser gefangen.”

Das ist wunderbar poetisch – doch was erwartet nun die Hörer und Besucher des 1LIVE Klubbingabends am kommenden Freitag – 60 Minuten Stille und Stehenbleiben können es kaum sein, oder? “Ich glaube, es ist nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Hörer nach der Lesung schon einen Großteil der Geschichte kennt oder die Richtung, in die sie sich bewegt, vorhersagen kann”, beruhigt Stefan. “Schön aber wäre es, wenn er danach eine Ahnung von der Stimmung haben könnte, die das Buch trägt, dass er von der Atmosphäre gefangen genommen ist und mehr von einer Welt wissen möchte, die nur vage gezeichnet ist und dass so ein Bedürfnis entsteht, die unklaren Bilder mit der eigenen Leseerfahrung scharf zu stellen. Den Figuren muss eine eigene Sprache und Stimme verliehen sein und man sollte die persönliche Haltung, die man den Geschehnissen gegenüber einnimmt, zum Ausdruck bringen können.”

Stefan ist bühnenerprobt und es lohnt sich, vorab auf seiner Homepage zu schauen, wo das “Lesungstagebuch” von Hotelzimmern aus Bochum erzählt, den Zusammenhang zwischen Berlin und GTA erklärt (”Eine Spielwelt, in der alles möglich ist.), Lampenfieber in Werdau beschreibt (die GPS-Daten, wer sich dorthin mal verlaufen möchte: N50° 44.1747′, E012° 22.6887′). Es gibt einen lustigen Einwurf zu der “Magie der korrekten Mikrophonierung” (soviel zur Beruhigung des Autors: das hat bei 1LIVE Klubbing immer bestens funktioniert) und dazu Bilder, die Spannung, Lebhaftigkeit aber auch Vertretertristesse einer gewöhnlichen Lesereise einfangen. Ungewöhnlich ist dagegen dieser Roman: “Der Schlaf und das Flüstern”, eine leicht verschobene Reise in eine phantastische Welt, motivisch sehr klug gesammelt (es gibt sehr viele Bilder, die das Anhalten von Zeit beschreiben, vom Schmetterlingssammeln bis zum Stottern, das als Pausenzeichen zwischen Wörtern gesehen werden kann). Stefan Petermann hat sich Mühe gegeben – und es ist ihm etwas ganz und gar Rätselhaftes geglückt.

Stefan Petermann: “Der Schlaf und das Flüstern”, Asphalt & Anders, 280 Seiten, 18.90 Euro

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