Das Sarrazin-Gegengift

Über 1,5 Millionen Bücher hat Thilo Sarrazon verkauft – können dagegen eine Handvoll überwiegend türkischer Intellektueller etwas ausrichten?

Warum Menschen wie CSU-Politker Horst Seehofer oder der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin behaupten Muslime überschwemmten Deutschland, obwohl mehr Türken aus- als einreisen, wird eines von vielen Rätseln der angeblichen Integrationsdebatte aus dem Herbst 2010 bleiben. Im „Manifest der Vielen“ schreiben intellektuelle Stars wie „Der Weltensammler“ Ilja Trojanow oder „Soul Kitchen“-Autorin Jasmin Ramadan gegen den neuen rechten Mainstream an, inklusive eines Manifests, das mit Parolen punktet, der Art: „Toleranz ist kein Kuschelsound / Kultur ist nicht aus Stahl / Demokratie birgt Risiken / Keine Kultur ist rein / Die meisten Menschen sind beige / Frage niemanden nach seiner Herkunft.“

51LAPR0OIVL._SY344_BO1,204,203,200_„Unanständig ist es, die alten Einwanderer in den Hinterhofgebetsräumen als Anhänger eines fremden Glaubens zu beleidigen, ohne je eine Moscheeraum von innen gesehen zu haben“, schreibt Bestsellerautor Feridun Zaimoglu. Andere bekennen sich in diesem großartigen Buch zu Ruhrpott, Heinrich Heine, Grimms Märchen. Ehemalige Hauptschülerinnen wie Hatice Akyün aus Duisburg lachen, wenn sie nach ein paar erfolgreichen Bücher plötzlich als „gute Muslime“ herhalten müssen. – Ausserdem kann, so steht im Buch, ein Kopftuch auch für Integration stehen. Denn: In Demokratien darf jeder aussehen, wie er will und Kopftuchträgerinnen zeigen durch ihr „Anders-Sein“, dass sie diese gesellschaftlich vereinbarte Erlaubnis im hochdemokratischen Sinne wahrnehmen. Auf diese Weise verändert das „Das Manifest der Vielen“ die Blickrichtung – durch die Kraft des richtigen Arguments. Es wird daran erinnert, dass Hetzer Thilo Sarrazin als Finanzsenator in Berlin extrem im Bildungssektor gespart hat – also dem Bereich, der angeblich aus der von ihm erkannten „Migratenkrise“ hilft. Das „Manifest der Vielen“ räumt sehr smart mit den vielen Lügen in der so genannten Islamdebatte auf – und das macht es zu einem der wichtigsten Bücher des Frühjahrs.

Hilal Sezgin (Hg): „Manifest der Vielen: Deutschland erfindet sich neu“, Blumenbar, 232 Seiten, 12,90 Euro

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