Rezension: Trennungen. Verbrennungen

Die Karriere des inzwischen 55-jährigen Helmut Krausser begann früh. Bereits als Teenager stellte er seine ersten Geschichten im Radio vor. Es folgten zahlreiche Romane, Novellen, Theaterstücke, Hörspiele – und sogar Kompositionen. Der Kunst- und Formwille ist enorm bei Krausser, der seine erfolgreichste Zeit in den Neunziger Jahren hatte mit den Romanen „Fette Welt“ (1992) „Melodien“ (1993) und „Der große Bagarozy“ (1997). In diesem Jahr erscheint der flott gestaltete Ensembleroman „Trennungen.Verbrennungen“, der mit grimmigem Humor und großem Wink das moderne Spannungsverhältnis zwischen altbundesrepublikanischer Lässigkeit und neuem „Fridays for Future“-Ernst seziert.

Was ist los mit den jungen Leuten? Diese Frage stellt sich in eben diesem ZDF-Fernsehgarten-Duktus der neue Roman von Helmut Krausser. Ebenso jovial wie solide erzählt er von den jungen Leuten unserer Tage. Die erscheinen schwer beladen mit einem Gepäck aus Neufeminismus, Elitenfeindlichkeit und Ökosorgen. Gemessen ernsthaft treten sie deshalb ihren liberalen Eltern gegenüber. Diese Eltern haben ihr Feld bestellt und ihr elitäres, sexuell befreites Leben längst mit einem gerüttelten Maß an Ironie immunisiert.

Das geht los in der Einstiegssequenz. Der Archäologieprofessor Reitlinger hat in den heimischen Salon am Wannsee geladen. Plötzlich wird die politisch unkorrekte Frage aufgeworfen, wer die schönste Frau auf Erden war. Schnell ist man sich einig, dass diese Frau nur Audrey Hepburn sein kann, und der humanistisch gebildete Professor geifert, dabei seiner Gattin Nora zugewandt: „Eins steht fest! Mit Audrey, wenn sie noch lebte und wenn sie mich ließe, würd ich dich betrügen, Liebes. Ich würd’s dir sogar sagen. Ich würde damit angeben! Ich würde es notfalls öffentlich mit ihr treiben und dich zusehen lassen!“

Am Tisch wird gelacht, auch Nora lacht, obwohl sie zuerst einen Schmollmund zieht, der nicht ernst gemeint ist, sondern dem Rollenspiel geschuldet. Sie erkennt im Scherzwort ihres Gatten eine Lässlichkeit und zugleich einen Liebesbeweis – weshalb diese Szene im allgemeinen Frohsinn enden könnte, wäre nicht die pubertierende Alisha zugegen, eine überzeugte Feministin, die ihre Mutter später im scharfen Ton maßregelt:

„Ich weiß genau, was Paps gesagt hat, und das geht so nicht, definitiv nicht, das muß frau ihm sagen, das muß ihm abgewöhnt werden. Nur so ändern wir was. Laß wenigstens im eigenen Haus – VOR ALLEM IM EIGENEN HAUS – nicht zu, daß du oder diese Audrey Hepburn zum Sexobjekt herabgewürdigt wird, für eine fiese Zote, das ist voll ekelhaft. Nebenbei: Wie viele Frauen waren heute da? Zwei! Von zwanzig! Wieso?“

Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen den jungen und den älteren Leuten unserer Tage zieht Kraussers Roman sein literarisches Kapital. Die jungen Leute mit ihren Friday’s for Future-Problemen stehen in 121 Kurzkapiteln ihren Eltern gegenüber, die einst bei den Serienfolgen von „Magnum“ oder „Kir Royal“ gelacht haben. Krausser bietet in „Trennungen.Verbrennungen“ zahlreiche Szenen, die zwischen Kabale und käuflicher Liebe changieren, zwischen den Karriere-Rankünen würstchenarmer Promotionsstudenten und schmissigen Schlagabtausch-Dialogen im Stil einstiger Neunziger-Jahre-Komödien wie „Nach fünf im Urwald“ oder „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit.“

Handlungsarmut und tiefere Innensicht überlässt dieser Roman geradezu großzügig den Debütantinnen der Jetzt-Zeit – auch deshalb kann „Trennungen.Verbrennungen“ als süffisanter Kommentar zur gegenwärtigen Thesenliteratur gelesen werden. Bei Krausser wird pointiert ein universitärer Schreibkurs geschildert, in dem die feministische Alisha ihr selbstvermutetes Können mit Inbrunst zum Besten gibt.

„Alisha nestelte am Mikro herum, räusperte sich, hustete, trank noch einmal Wasser, sagte ihren Namen und daß sie gleich Gedichte vorlesen würde. Das erste ging so. ‚Ich träume vom Ende des Kapitalismus!!! / vom Ende des Scheiß-Patriarchats!!! / von der Revolte, bei der du mitmußt, / statt Fleisch friß lieber Salat!'“

Fremdscham ist vorprogrammiert, wenn die Vertreterinnen der Generation Y mit der Hybris vermeintlich Besserkönnender ihre Bühnen bespielen. Die Art und Weise, wie Krausser gegen diese blasse Blasiertheit seine „fette Welt“ aufruft, erscheint souverän. Dieser Gestus macht aus „Trennungen.Verbrennungen“ zugleich einen testoterongeladenen Täuschkörper. Werden Kriegsschiffe oder moderne Düsenjäger angegriffen, stoßen sie Ablenkungsfeuerwerke aus. Diese auch „Flares“ genannten Köder sollen feindliche Torpedos und Raketen vom eigentlichen Ziel fortlocken.

Die argumentative Waffe unserer Tage wird bekanntlich abgefeuert auf das Ziel „alter, weißer Mann“. Helmut Krausser ist selbst auf dem Weg zum alten weißen Mann, und sein Roman antizipiert den drohenden Angriff der Antikapitalisten, Patriarchiatsfeinde und Vegetarier.

Gegen diese Angriffe präsentiert Kraussers Ensembleroman zahlreiche vom eigentlichen Zielen ablenkende Argumente. Auf altväterliche Weise wir immer wieder der heißgelaufene Neu-Feminismus demaskiert; selbstverständlich mit den ironischen Mitteln der Elterngeneration. Der Witz liegt darin, dass die tatsächlichen Heuchler im Roman die Kinder sind, und nicht ihre Eltern. Gierig sind hier keineswegs die Baby Boomer-, sondern die ihnen nachfolgende Erbengeneration. Diese Generation kennt statt echter Leidenschaft nur noch die digitale Dating-App-Anbahnung, die sich kapitalistischer als vermutet gestaltet, beispielhaft geschildert in der Erfahrung einer der jungen Heldinnen: „Siebzehn Herren hatten heute auf ihr Tinder-Bild mit Herzchen und Smileys und Dick-Pics reagiert, fünfzehn davon würden abends Zeit für sie haben oder würden Wege finden, sich Zeit für sie zu nehmen.“

Die Versendung von Penisbildern ist ein selbstverständlicher Teil der digitalen Hölle. Doch an diesem gerade gehörten Beispiel zeigt sich, in welchen Momenten Helmut Krausser (oder sein Erzähler) mit „Trennungen.Verbrennungen“ scheitert. Bei der Dating-App „Tinder“ kann man lediglich Textnachrichten, aber niemals Bilder austauschen. Der Text weiß in solchen Momenten daher nicht, wovon er berichtet und erscheint ähnlich uninformiert wie Martin Walsers Roman „Das 13. Kapitel“ von 2012, wo die modernisierende Floskel „Von meinem iPhone gesendet“ stets aufs Neue unfreiwillig komisch wirkt. Vergleichbar ist „Trennungen.Verbrennungen“ an diesen Stellen auch mit Martin Mosebachs „Das Blutbuchenfest“ aus dem Jahr 2014, wo die Sprache souverän, das Wissen um die modernen Kommunikationsmittel spärlich sind.

Zugleich ist diese Erzählhaltung konsequent, weil sich Form und Inhalt spiegeln. In Kraussers Roman schauen die souveränen Baby-Boomer auf ihre zartbesaiteten Kinder herab – oft aus nachvollziehbaren Gründen; aber wenn es tiefer geht, scheitern sie mit ihren Analysen. Dennoch ist dieses Buch unterhaltsam, weil „Trennungen.Verbrennungen“ dramaturgisch geschickter agiert als die aktuell prämierten Ich-Protokolle junger Großstädtern, die auf der Suche nach einer bezahlbaren Altbauwohnung verzweifeln. So erinnert dieser Roman mehr an einen „Fahrspaß“-SUV von Mercedes Benz als an den neuen Elektro-Roller des niederländischen Etergo-Start ups. Er zeigt, dass der „alte weiße Mann“ den Ernst der Lage ignoriert; möglicherweise zu Recht.

Helmut Krausser: „Trennungen.Verbrennungen“, Berlin Verlag, 256 Seiten, 22 Euro

 

 

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