Rezension: Spare-Rips im Paradies

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht und es ward Licht.“

Später kam der ganze Rest dazu: Tag, Nacht, Tiere, Menschen, Zeugs, in der daran anschließenden zweiten Schöpfungsgeschichte (die eine baut nicht auf die andere auf) das biblische Paar Adam und Eva. Es folgte der allbekannte Sündenfall, die göttliche Vertreibung aus dem Paradies, vor die bewachten Gartentore, wo der Mensch seine Kinder unter Schmerzen gebären, die Felder im Schweiße seines Angesichts bestellen muss, wo es als Ausgleich allerhöchstens ein Stipendium der „Villa Massimo“ in Rom gibt. – Eben dorthin wurde tausende Jahre später Ingo Schulze eingeladen.

Er nutzte die italienische Idylle, um die Geschichte von Adam und Eva neu zu erzählen. Der Autor von „Simple Storys“ und „Handy“ inszeniert das junge „Adam und Evelyn“-Paar als Bürger der gerade untergehenden DDR. – Es ist der Spätsommer 1989. Bald öffnet Ungarn seine Grenzen. Wenig später wird die Berliner Mauer fallen. Eine wortwörtliche, eine aber auch im übertragenden Sinne heiße Zeit; überall lauern Schlangen, die Intrigen spinnen und vom Baum der Erkenntnis flüstern: „Wir sind das Volk.“

Am Anfang des Romans steht Adam in seiner Dunkelkammer (Nacht) und entwickelt Fotos, auf denen langsam junge Frauen auftauchen, aus dem Schatten ins Tageslicht – als Adaption der biblischen Schöpfungsgeschichte, unmissverständlich, deutlich, ein gelungenes Bewerbungsschreiben für den Deutschen Buchpreis, auf dessen Shortlist „Adam und Evelyn“ pflichtschuldig gewählt worden ist – gewonnen hat Uwe Tellkamps epochaler-manierierter DDR-Untergangsroman „Der Turm“).

Zurück zu den Kammern, zu Adams Entwicklerflüssigkeit: „Plötzlich waren sie da, die Frauen. Sie erschienen aus dem Nichts, angetan mit seinen Kleidern, Hosen, Röcken, Blusen und Mänteln. Manchmal war ihm, als träten sie aus dem Weiß hervor.“ Wenige Sätze später quietscht das Gartentor (Paradies) und Evelyn (genannt Evi) geht die Treppen hinauf, mit Weintrauben (!) im Gepäck. „Sind die gewaschen?“ fragt Adam und Evelyn antwortet: „Ja, ich vergifte doch schon nicht.“

Ab jetzt hat es jeder kapiert. Wer protestiert, hier fehlte eine listige Schlange, der muss weiterblättern, bis zur Schildkröte – einem arg halbherzigen Ersatz (wobei die biblische Schlange anfangs Beine hatte und erst nach dem Sündenfall im Staub rumkriechen musste). Adam packt diese Schildkörte in seinen klapprigen Lada, um Evelyn nachzufahren, die sich zu einer Freundin davongemacht hat, mit der sie die Flucht in den Westen plant.

Es geht durch die DDR, Richtung Balaton, vertrieben aus der umzäunt-bewachten, geradezu paradiesischen Heimat, hinaus, in die Fremde, also ungefähr dorthin wo Kain flüchtete, nachdem er Abel erschlagen hatte. Auch Adam wurde ertappt, in flagranti erwischt, beziehungsweise glaubt die 21-jährige Evelyn, ihren Freund in flagranti erwischt zu haben; Objekt der falschen Begierde ist eine üppige „Rubensdame“, Privataktmodell und mögliche Bettgespielin des hauptberuflichen Damenschneiders. Evelyn überrascht die Dame unschuldig, schamlos nackt, im Schlafzimmer. – Deshalb brennt sie zu ihrer Freundin Simone und deren Freund (Erzengel) Michael durch – der im Roman „Westkontakt“ ist und statt mit feurigem Schwert mit einem flammend-rotem VW-Passat aufkreuzt.

Dieser eindeutig doppelbödige Roman könnte furchtbar missraten sein, ist es aber nicht. Er ist schnell. Sexy. Er ist viel weniger bemüht, als angenommen; weil Ingo Schulze Humor beweist. Adam, der Schneider und Schöpfer, wird als Halbgott eingeführt, der die „Ärsche“ der Kundinnen besser verkleinert „als jeder Chirurg“ (O-Ton Evelyn). Neben den Weintrauben muss das halbe ALDI-Obstparadies herhalten, von der Feige bis zum Apfel – derart aufgedrängt an die Bibel angelehnt, dass es unweigerlich selbstironisch wirkt. Adam klagt über Beschwerden, die sein christliches Vorbild ebenfalls gehabt haben dürfte: Sein Brustkorb schmerzt. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass aus Adams urmenschlichen Rippen einst „die Frau“ erschaffen worden ist.

Ingo Schulze: „Adam und Evelyn“, Berlin Verlag, 320 Seiten, 18 Euro

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