Rezension: Bekifft zur Bastille

Egotronic-Chefdenker Daniel Kulla schreibt über Drogen

Er hat bereits „Raven wegen Deutschland“, die grandios verballterten Erinnerungen von Torsun gepimpt. In einem nun wirklich so zu nennenden Opus Magnum beschreibt Daniel Kulla, intellektueller Kopf der Electroclashband Egotronic, den Zusammenhang zwischen Rausch und Herrschaft – von den ersten Säugetieren bis zum Designerstoff der Stuka-Bomber, der als „Chrystal Meth“ nun auch Nicht-Nazis zugänglich ist.

Das Buch trumpft mit starken Bildern auf, beschreibt die Vertreibung aus dem Paradies als erste Drogenrazzia (Adam und Eva aßen von der verbotenen Frucht) und erklärt, weshalb das Reinheitsgebot für Bier vor allem deshalb entworfen wurde, um Halluzinogene (Bilsenkraut) als Zusatzstoff rauszustreichen.

Kulla fragt, warum seltsamerweise jene Drogen im Kapitalismus offiziell verkauft werden, die unsere Arbeitskraft nicht einschränken. Er zeichnet nach, aus welchen Herrschaftsgründen Räusche in der Geschichte entweder gefördert oder verfolgt wurden; auch hier wäre man wieder bei den Nazis und der Verdammung von „jüdisch“ genannten Tanz-, Drogen-, Partyräuschen im Gegensatz zum „arischen“ Rausch des Blutes bei Massenaufmärschen et cetera.

Ebenso werden Arbeitsräusche (der Workaholics) und Hungerräusche (der Frauen) positiv gesehen, während möglicherweise erkenntnisfördernde LSD-Räusche und Liquid-XTC-Pushs geächtet werden. „Leben im Rausch“ ist kein Wirkstoffschlüssel, kein Tripmanager, und als Einstieg ins Dealer-Dasein vermutlich zu voraussetzungsreich (Hegel, Marx, Bibel). Aber es ist ein gut recherchiertes, smartes, links überholendes Aufklärungswerk, für das man während der Lektüre nüchtern sein sollte – sonst verpasst man die besten Stellen. Erkenntnisrausch!

Daniel Kulla: „Leben im Rausch: Evolution, Geschichte, Aufstand“, Der Grüne Zweig, 292 Seiten, 19,80 Euro

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