Rezension: Appelsin im Bananensattel

Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ (als Buch, Film, Theaterstück), den „Studio Braun“-Anrufen und der Pseudo-Doku „Fraktus“ ist Heinz Strunk seit Jahren in den verschiedenen Kulturcharts angekommen. Nach sehr viel Anarchie kommt nun sein erster, beinahe ernst gehaltener Roman: funktioniert das?

Wenn es ums Essen geht, macht „Fleisch ist mein Gemüse“-Autor Heinz Strunk dem Literaturnobelpreisträger Günter Grass („Ilsebill salze nach“) Konkurrenz. Im neuen Buch erzählt der Bestsellerautor aus der eigenen Hamburger Jugend, als er noch Mathias Halfpape hiess. Es beginnt 1966 mit dem schönen Wort „Gehacktesstippe„, da ist Mathias sechs Jahre alt und bis er vierzehn ist, werden eine Menge Koteletts, Blumenkohl mit Mehlklumpensauce, Negerkussbrötchen (ob das Buch demnächst noch überarbeitet wird?) und Eisnachtisch verdrückt. – Es sind die letzten Wirtschaftswunderjahre. Die Westdeutschen saufen und fressen und betrinken sich mit kühlem Bier. Mit den Mahlzeiten in „Junge rettet Freund aus Teich“ kann man etliche Kochshows im Fernsehen bestücken. Mathias bekommt sein Essen von Oma und Opa aufgetischt, weil seine alleinerziehende Mutter tagsüber als freie Musiklehrerin arbeiten muss. Das bringt Kraft für den Unsinn kommender Jahre. Mathias stört in der Französischen Kinderschule. Er raucht viel zu früh. Irgendwann plant er mit seinem besten Kumpel einen Einbruch bei „Waffen und Angelbedarf Uhrig“, der deshalb in die Hose geht, weil Mathias seine Zahnspange verliert).

Noch nie hat Heinz Strunk mit so viel Lust und Schmackes erzählt. Sein Roman ist eine kurvige Fahrt durchs Erwachsenwerden, der es gelingt, im Vorbeifahren selbst so große Themen zu beachten wie die Einsamkeit der später krankhaft christlichen Mutter oder auch das langsame Sterben des Erste-Weltkrieg-Opas. Ohne ins„Generation Golf“-Milieu abzurutschen, ist „Junge rettet Freund aus Teich“ obendrein ein elegantes Archiv der mittsechziger bis mittsiebziger Jahre – mit erstaunlich wenig Popmusik. Stattdessen geht es um den Hörzu-Igel Mecki, um Mr. Freeze, Robert Lembke, Raumschiff Enterprise, Bonanzaräder mit Bananensattel und den Orangenfruchtsaft Appelsin. Wenn Heinz Strunk weiterhin immer besser wird, macht er Günter Grass bald auch auf den übrigen, literarischen Gebieten Konkurrenz.

Zum Weiterlesen: Mathias Halfpape ist nicht der erste Romanheld, der im hohen Norden aufwächst. Im Roman „Gegen die Welt“ erlebt der ostfriesische Drogistensohn Daniel die 80er Jahre zwischen „Horst Hrubesch, Tigernüsse, Lungenschmacht, Guns N’Roses, Roter Riese, Kräuterblut, Vespa, Joystick, Tinnener Tannen, Jever.“ Autor Jan Brandt wurde dafür mit Uwe Johnson verglichen, dessen „Jahrestage“ aus dem zunächst sehr dörflichen Leben von Gesine Cresspahl erzählt. Weitere, wirkliche sehr empfehlenswerte Nordlichtgeschichten gibt es in: „Neue Vahr Süd“ von Sven Regener, in „Schneetage“ von Jan Christophersen und in Moritz Rinkes „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“.

Heinz Strunk: „Junge rettet Freund aus Teich“, Rowohlt, 288 Seiten, 19,90 Euro, Hörbuch bei Roof Music

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