Rezension: Accident in Paradise

Peyote, Pacout und eine schrottreife Propellermaschine verwirren den Raver in Jürgen Teipels neuem Roman so lang, bis mitten in Mexikos Wüste gilt: “Ich weiss nicht.“

Schon auf der ersten Seite taucht in Mexico City eine bizarre Kathedrale auf, die dem jungen Helden wie in Fels gehauen und danach in den Ozean gesetzt erscheint: “Es gibt Seesterne und Fische, die sich auf dem Grau der Steine befinden. Gleichzeitig ist alles sonnenbeschienen.“ Doch dieses Gotteshaus, gewidmet der Jungfrau von Guadalupe, ist nur eines von vielen Heiligtümern, die der Raverclique auf dem Weg zum “Technotilan-Festival“ begegnet. Verstrahlt von Haschkeksen, Clubs ohne Dach und “Bumm Bumm“-Musik ziehen die DJs Tere, Tommy und der Erzähler durch die Wüste, euphorisch abfeierend und spontan heiligend, was oder wer ihnen begegnet: vom “Geist der Peyote“ bis zum Azteken-Punk.

Die Reise dauert nur ein paar Tage und steht unter dem Bildungsauftrag: Wir zeigen Mexiko, was deutscher Techno ist. Wir diskutieren in verschiedenen Städten mit interessierten, aber auch erbosten Bürgern, die uns vorwerfen werden, das sei keine Musik. Wir lassen uns sagen, dass Raver auf keinen Fall tanzen können und geben den bürgerlichen Herrschaften in Gedanken Recht, denn tatsächlich kann keiner tanzen. Wir schauen vom Dancefloor hoch zur Clubdecke und stellen fest, dass es keine gibt. Wir genießen dieses seltsam fremde Meet & Greet mit der einheimischen Szene und an manchen Abenden sehen wir Glühwürmchengirlanden in kleinen Dörfern blinken.

Aber dann kommen die Probleme, weil die süße Tere und der griegrämige Tommy viele Jahre als Paar durch die Nachtszene streiften und ihre Beziehungsreste nun überall störend rumliegen. Das erste Treffen mit dem Erzähler gestaltet sich schwierig, da er identifiziert wird als möglicher Rivale: “Und Tommy so mit einem Seitenblick auf mich: ,Ist das der da oder was?‘ Diese Floskel, in der “sagt“ durch “so“ ersetzt wird, verwendet Jürgen Teipel immer wieder, und gibt dem Roman damit die bereits im Klappentext angesprochene Chill-Out-Authentizität. Hier redet einer, immer leicht zugedrogt, von der Leber weg. Selbst vermeintlich tiefe Wahrheiten, die beim behutsamen Schneiden von Peyote-Rauschkakteen aufkommen, klingen wirr.

“Es ging eben darum, dass alles intakt bleibt, Und dass auch noch andere Menschen und Tiere etwas von diesem Platz haben.“ – “Das ist wirklich die Wahrheit des Lebens. So hängt alles zusammen.“ Schon klar. Die Druffie-Literatur hat Zuwachs bekommen. Jürgen Teipel stellt sich neben Rainer Schmidts Loveparade-Buch “Liebestänze“ und Airens “Strobo“, das gerade mit “I Am Airen Man“ fortgeführt wurde und ebenfalls in Mexiko spielt. In der letzten Szene steht Teipels Erzähler am Fuß einer Aztekenpyramide und was er hochruft, zu seinen Freunden, kann auch als ironisch gebrochene Aufforderung an alle Technoweggefährten der vergangenen 25 Jahre gerichtet haben: “Hey! Was macht ihr da oben? Kommt runter!“

Man muss sich übrigens nur die Danksagung auf der letzten Seite anschauen und vorstellen, nur eine Handvoll der genannten Teipel-Freunde würde zusammen eine Party schmeißen. DJ Hell trifft auf Richie Hawtin, Miss Kittin und Andi Teichmann. Genannt werden auch Pacou, Acid Kid und für spätere Chill Out-Momente der großartige Rainer Trüby. “Als würde man eine Flasche klaren Wassers ansetzen und in einem Zug austrinken“, schreibt Hans Nieswandt über “Ich weiss nicht“ und Inga Humpe, die schon 2001 bei Teipels NDW-Dokuroman “Verschwende Deine Jugend“ mitgemacht hat, nennt das neue Buch kreisförmig, denn: “Ich habe nach der letzten Seite gleich wieder von vorne angefangen.“ Kein Feind, viel Ehr, Riesenpartys. “Ich weiss nicht“ kommt mit Tanz- und Erleuchtungsgarantie.

Jürgen Teipel: “Ich weiss nicht“, Dumont, 128 Seiten, 14,95 Euro

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