Rezension: Polanski vs. Manson

„Tanz der Vampire“-Regisseur Roman Polanski war im vergangenen Jahr sehr massiv in den Medien, weil er in der Schweiz mit Internationalem Haftbefehl festgenommen wurde und ihm der Prozess gemacht werden sollte: Wegen Verführung einer 13-Jährigen in den 1970ern. Inzwischen ist er wieder frei, aber das Thema Polanski ist weiterhin aktuell. Dafür sorgt A.F.Th. mit seinem 1166 dicken Polanski-Roman „Das Scherbengericht“.

Der niederländische Großschriftsteller A.F.Th. (eigentlich: Adrianus Franciscus Theodorus van der Hejden) schickt Skandal-Regisseur Roman Polanski („Tanz der Vampire“) in ein bizarres Duell. Polanski wird Ende der 70er Jahre ins Gefängnis eingewiesen, weil er ein 13-jähriges Mädchen verführt hat. Dort trifft er auf Charles Manson, der 1969 Polanskis hochschwangere Frau Sharon Tate gelyncht hat. Da Manson sein Gesicht mit Mullbinden verhüllt hat, ist seine wahre Identität stets verborgen, es bleibt beim Verhör Polanski-Manson, das von The Beatles über Brian Wilson, zu Hitler, Pop und Massenhysterien wandert, eine Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts sozusagen, dessen Dreh- und Angelpunkt „Hurly Burly“, übersetzt das „große Durcheinander“ bzw. der gleichnamige John-Lennon-Song „Helter Skelter “ ist.

Langsam wird klar, dass der verhinderte Musiker Charlie Manson von einer Menge obskurer Typen inspiriert wurde: „Bevor ich dem kleinen Guru sein Orakel in Form einer illegal gepressten Schallplatte überreichte, hätte ich mich viel gründlicher mit seiner Vorgeschichte und seinen geistigen Fähigkeiten befassen müssen, anstatt The Egg Man’s Gesäusel über Charlies prophetische Gaben unbesehen zu schucken. Ron Hubbard, Jesus Christus, Ol’Creey Karpis, Robert DeGrimston, REVOLVER, Adolf Hitler…“

A.F.Th. schreibt mit „Das Scherbengericht“ an der „Mythologie unserer Zeit“, sein fetter Roman gehört mit dem Vorgänger „Die Movo-Tapes“ zum Romanzyklus „Homo duplex“. Das Buch ist überraschend lesbar, spannend, es entwickelt einen Sog, ist brutal aber nicht umbarmherzig, popinspiriert aber gleichzeitig klassisch erzählt. Es greift Debatten auf über Popstars als Heilige, über Gewalt und (Massen-)Wahn, und die Frage nach Dichtung und Wahrheit. „Hurly Burly“ bzw. „Helter Skelter“ ist übrigens auch der Titel eines gerade auf Deutsch erschienenen Weltbestsellers über die Morde Charles Mansons. Staatsanwalt Vincent Bugliosi hat hier „eine Chronik des Grauens“ vorgelegt, die als Subtext zu „Das Scherbengericht“ gelesen werden kann. Macht zusammen 1932 Seiten. Aber der Winter ist lang. Wir haben Zeit. Gewaltig.

A.F.Th.: „Das Scherbengericht“, übersetzt von Helga van Beuningen, Suhrkamp, 1166 S., 39,90 Euro

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1 Kommentar

  1. […] Skelter” von Vincent Bugliosi, dem verantwortlichen Staatsanwalt – und der Roman “Das Scherbengericht” von A.F.Th. van der […]

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