Rezension: Oh, wie schön ist Panama

Wie fühlt sich ein „Prinzessinnenschlaf“ an? Was macht Wladimir Putin im Traum? Wie geht es Hanni und Hanni? Nach dem schönen Buch „Das Glück geht aus“ bleiben Fragen zurück. Und Hoffnung.

Oma ist tot. Die junge Frau fährt mit ihren Eltern nach Schweinfurt, wo Omas Alkoholikermann Ohi, ein früherer GI, zwischen Schnaps- und Bierflaschen im Jogginganzug vegetiert. Er hatte den Tod seiner Frau festgestellt, „Sofie is dead“, und daraufhin mit einem Kumpel weitergesoffen, zwei Tage lang. Dass sich Ohi  nun binnen weniger Monate zu Tode trinken wird, scheint klar. Unklar ist jedoch, ob Ohi die Omi umgebracht hat. Denn im Laufe des kurzen Familienbesuchs macht sich der Mann verdächtig. Man munkelt, er habe Oma verprügelt. Eine beklemmende Vorstellung.

Omas Tod aktiviert alte Ressentiments. „Meine Eltern hatten sich oft darüber gestritten, wer von ihnen die schlechtere Kindheit gehabt hatte.“ Vater fühlte sich verlassen, Mutter von ihrem Elternhaus unterdrückt. Das alles bricht wieder auf, während die junge Frau Großmutters puderig riechenden Kittelkleider inspiziert. Sie hat Sehnsucht nach heiler Welt, denkt plötzlich an Tante Lore, die eine halbe Stunde entfernt im Altersheim lebt. „Und ich beschloss, dass ich mich von nun an liebevoll um alle Verwandten über sechzig kümmern würde, sie regelmäßig anrufen, sie besuchen und ihnen Pralinen und Blumensträuße kaufen würde.“

Nach dem Beerdigungsbesuch in Schweinfurt wird sie in den Schoss ihrer Familie zurückfinden. Das eint sie mit vielen Frauen zwischen Ende 20 und Ende 30, die nach Studium, Berufsfindungsphase, Zusammenwohnen mit dem ersten „richtigen“ Mann und vielen exzessiven Wochenenden ein kleines Heim herrichten, zum Beispiel „für eine Tochter, von der ich Tausende lachende Bilder aufnahm und Tante Lore versprach uns, ihr eine kleine Mütze und Schühchen zu häkeln, bis wir das nächste Mal zu Besuch kämen.“

Die 35-jährige Filmemacherin Sonja Heiss („Hotel Very Welcome“) beschreibt in zehn rundum geglückten Short Storys, wie „das Glück“ ausgeht, im Leben ihrer Heldinnen. Es ist ein doppeldeutiges Wortspiel, denn „Das Glück geht aus“, indem es endet, es macht sich aber auch auf den Weg, um nach langer Reise zurückzukehren. Ein bisschen wie in Janoschs Kindergeschichte „Oh, wie schön ist Panama“, wenn sich Tiger und Bär aufmachen ins Land ihrer Träume, um mit neuem, mild gestimmtem Blick ins alte Heim zurückzukehren.

„Panama“ heisst vielleicht aus deshalb eine weitere Geschichte von Sonja Heiss. Sechzehn Bücher hat die Frau in den Panamaurlaub mitgenommen. Sie reist also in Büchern weiter, was absichtlich ungefährlich ist, während ihre bisexuelle Freundin Irmi auf Bäumen sitzt und Faultiere krault, während Irmi die Natur, die Tage geniesst, voller Hingabe Berge von „Schrimps und Krebsen, Hummerteilen, Fisch, Reis und Salat“ vertilgt. Irmi schäkert mit den Einheimischen. Irmi ist das pralle Leben. Ihre lesende Begleiterin dagegen macht sich Gedanken über schmutziges Wasser, über Gelbfieber und Verbrechen. Dann geschieht tatsächlich ein Unglück…

Dieses Unglück bringt Klarheit in die verworrene Beziehung der beiden Frauen. Es geht um Wendungen, wie in anderen Geschichten, wo Herzinfarkte, die Strafe der Eltern, oder ein Action-Alptraum mit Waldimir Putin den Heldinnen signalisiert: Ab jetzt muss es anders weitergehen. Gute Geschichten erzählen von Umbruchsphasen. Eine Freundin geht verloren. Der Vater wird krank. Man steht allein auf weiter Flur. Dieses Gefühl, endlich losgehen zu müssen, das während entbehrungsreicher Nachkriegsjahre im Teenageralter einstellte, kommt bei Akademikern der Gegenwart erst mit Ende 20, Anfang 30 auf. Manchmal sogar noch später.

Von diesen Einschnitten in eine schier unendlich verlängerten Jugend erzählt Sonja Heiss. Sie bedient sich dabei einer verwunderten Sprache: „Heute lebe ich in einer anderen Stadt in einem Haus mit Garten. Wir haben Kirschbäume, einen alten Apfelbaum und eine Clemantis, die sanft am haus emporklettert. ich habe ein Gemüsebeet angelegt und Stachelbeersträucher gepflanzt. Ich liebe Stachelbeermarmelade. Der Garten ist sonnig und alles gedeiht. Ich habe einen grünen Daumen, sagt mein Mann. Selbst eine tote Pflanze kann ich wieder lebendig machen.“ So ungefähr schaut das Mittelstandsparadies nach dem Erwachsenwerden und den letzten Jugendkrisen aus. Das Glück geht dann nicht mehr aus. Das Glück ist ab sofort da. Bestimmt?

Sonja Heiss: „Das Glück geht aus“, Berlin Verlag, 176 Seiten, 9,95 Euro

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