Rezension: One Life Stand

Katja Wiesberg spricht im Roman “Die Herrenausstatterin” mit imaginären Freunden, trifft eine Ratte im Backofen und benutzt “Tears again”.

Mariana Leky hat einen Roman über Ausnahmezustände, Karateweisheiten und einen rosafarbenen Porzellanflamingo geschrieben, was erst einmal abgefahren klingt, aber ganz harmlos beginnt – mit einer Beschwichtigung. “Gleich ist es vorbei” steht an der Decke über dem Behandlungsstuhl, in dem Katja sitzt, während Vertretungszahnarzt Jakob in ihrem Mund fuhrwerkt. “Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul” heisst es, doch Katja wird ihre Liebe zu Jakob erst nach der Behandlung verschenken. Da hat er längst ihren Gesundheitszustand ermittelt und weiss, dass Katjas Zähne in Ordnung sind. Die ersten Rührungstränen zum “Date” in der Praxis hat Jakob auch bereits verdrückt, allerdings unfreiwillig. “Er zog ein Fläschchen aus seiner Kitteltasche und hielt es mir hin. Tears again, stand darauf, und Jakob erklärte, dass er sich die Flüssigkeit regelmäßig in seine zu trockenen Augen träufeln musste, was dazu führe, dass ab und zu eine Träne unkontrolliert über seine Wange laufe.”

Wenig später macht er Katja einen leicht verschrobenen Heiratsantrag: “Ich fragte Jakob, ob er mit mir zusammenwohnen wolle, Jakob lachte, legte den Arm um mich und sagte: ,Gott bewahre.‘ Dann blieb er stehen und räusperte sich. , Aber ich kann dir ersatzweise anbieten, dass wir heiraten.‘” Alles hätte gut und gern so weitergehen können. Allein der von einer Tante zur Hochzeit geschenkte Porzellanflamingo stört. Aber es ist nicht das einzige Tier, das in “Die Herrenausstatterin” irritiert. Denn im Backofen taucht eine Ratte auf, die es vermutlich gar nicht gibt (wie sollte sie auch dort reinkommen?). Katja wird langsam verschroben. Ihre Ehe mit Jakob gerät in eine seltsame Schieflage. Und der Satz “gleich ist es vorbei” wird zur Bedrohung, als Jakob nach einem Verkehrsunfall stirbt, als Katja, die Einkommen und Würde aus ihrem Angestelltenjob als Lohnübersetzerin zieht, vor einem Altglascontainer zusammenbricht und als Dr. Friedrich Blank auftaucht, der erste ihrer imaginären Freunde, ein eingebildeter Begleiter, an den sich Katja mit letzter Kraft klammert, damit er ihr hilft.

Es ist immer schlecht, wenn das, was einem nützt, gar nicht real vorhanden ist. Aber davon weiss Katja zu diesem Zeitpunkt nichts. Was sie niemals wahrhaben will: Dr. Friedrich Blank ist kein Doktor der Medizin, sondern einer der Altphilologie, der Studenten das kleine und das große Latinum beibringt. Er ist anders, als die vielen im Roman auftretenden Ärzte, Pfarrer und der später hinzukommende Feuerwehrmann. Er ist kein Dienstleister für Ausnahmesituationen, er ist nicht zuständig für körperliche (Ärzte) oder seelische (Pfarrer) oder lebensbedrohliche (Feuerwehrmänner) Situationen, sondern ein ganz im Gestern lebender Mensch, eine Art Mr Bean auf Tranquilizern. Dr. Friedrich Blank hat nur ein besonderes Merkmal. Er ist tot. Er ist ein Paradox. Eigentlich dürfte es ihn nicht geben. Eigentlich! Aber in Romanen ist alles möglich. So wird Dr. Friedrich Blank zum besten Freund der trauernden Witwe. Er gibt Ratschläge, als Katja wenig später von einem (vermutlich ebenfalls eingebildeten) Feuerwehrmann schwanger ist. Er hilft ihr, als ein weiterer imaginärer Typ auftaucht, eine Karatefilmfigur, die mit ihren pseudokonfuzianischen Weisheiten auftrumpft.

Da die drei falschen Freunde schon in ihrem Kopf zusammenkommen, fährt Katja mit ihnen weg, nach Holland, um einen sehr, sehr bizarren Urlaub zu verleben. Danach kehrt sie oder kehren die vier zurück. Die Ratte im Backofen taucht noch einmal auf. An ein normales Leben ist nicht mehr zu denken. Und Katja lebt wie eine Irre in ihren Wahnvorstellungen. Eigentlich bräuchte sie richtige Hilfe. Aber wenn sie die bekäme, wäre “Die Herrenausstatterin” weniger schön, weniger rätselhaft. Mit ihren Jungs kommt Katja ganz gut klar, was gleichzeitig ein Hinweis auf Romane an sich sein könnte. Denn Literatur kann ebenfalls Leben retten, nicht nur Glaube, Liebe, Medizin. Die bereits routinierte Autorin Mariana Leky setzt alles ein, um ihrem Leser zu beweisen, dass 1.) Karatefilme besser sind als ihr Ruf und 2.) auch diese Weisheit unbedingt gilt: “Ich habe immer geglaubt, das Leben sei eine Einladung mit Tischkärtchen. Als müsste man sich, schon aus Gründen der Höflichkeit, auf den Stuhl setzen, der einem zugewiesen wird, auch wenn es am anderen Ende des Tisches viel lebhafter zugeht Ich möchte Ihnen sagen: Das ist ein Irrtum. Es ist eine Einladung mit freier Platzwahl.”

Mariana Leky: “Die Herrenausstatterin”Dumont, 212 Seiten, 18,95 Euro

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