Rezension: Musik=Müll

Ist das Kunst, kann das weg? – Hanz Platzgumer und Didi Neidhart wiegen in ihrem Essay das Gewicht von Musik in unserer Gegenwart. Vieles wird als zu leicht befunden, Warum?

Es soll schon früher Zeiten gegeben haben, als Musik wie ein Wegwerfprodukt behandelt wurde. Ausgerechnet das hochgejazzte Motown-Label hat schnell vergängliche Fließbandhits produziert, die so oft den Refrain wiederholten, dass man bereits in den 60ern und 70ern von Klingeltonsongs sprechen konnte. Was damals zählte, war weniger der künstlerische Ausdruck, vielmehr die Kasse, die „klingeln“ sollte, dank KISS: Keep it simple, stupid! – Zugleich wird dieses Refrainpenetration seit der Erfindung des polyphonen Mobiltelefons weiter und weitergetrieben, so das man bisweilen glaubt, ein Song bestünde nur aus den 30 Sekunden, die itunes bis vor einiger Zeit noch als angeblich aussagekräftiges Snippet anbot (andererseits wurde hier umgedacht, weshalb bereits eines der stärksten Argumente dieses Essays ins Wanken gerät).

Fakt ist: in Motownzeiten wurden Singles und LPs unterschiedlich abgemischt, der produktionstechnische Aufwand war höher als heutzutage. Die Bässe gab es damals für die Clubs bzw. Diskotheken, die moderate Fassung für den LP-Heimgebrauch. Heute hören viele User stark im Hochtonbereich angesiedelten Handyschrott. HiFi war gestern (Quadrophonie sowieso). Und „was ist ein DJ Bobo? Ein Discjockey? Sicher nicht.“ – Dieser Essay ist in altmodischer Wut verfasst. Die beiden Autoren, Musiker, DJs, Autoren in Personalunion, trauern auf verzweifelte Weise den alten Zeiten hinterher. Sie sind schockiert, dass „der deutsche Ballermann-Sound, diese Mischung aus Herrenwitz-Spießerschlager und unfunky teutschem Tekkkno nie aufzuhören scheint. Das dauert jetzt ja schon länger an, als die gesamten 80er und 90er, auf die er sich bezieht.“

Musik ist in ihren Ohren deshalb immer wieder Müll, weil ein Fünf-Euro-Abo für eine Million Songs bei Spotify bedeutet, dass kaum ein Künstler in Zukunft ausreichend Geld verdienen kann. „Um die in Österreich geltende Armutsgrenze von monatlich 773 Euro zu überschreiten, müsste ein Produzent im Monat 258 Millionen Hörer erreichen.“ Denn das Geld landet nicht komplett bei ihm. Songs werden in die Cloud geladen, um nicht einmal die WAV-Speichergröße auf der eigenen Festplatte zu belegen. Teures Geld wird höchstens für ein retrospektives Bob-Dylan-Konzert verlangt. Platzgumer und Neidhart scheinen verärgert, dass jetzt, wo sie die Popmusikgeschichte intus haben, Alben und Hits die Jugendkultur verlassen haben. Schnell gehört. Schnell vergessen. Nächster Track. Was sich Platzgumer und Neidhart wünschen: Eine neue Bewegung wie Punk, die als „Müllabfuhr“ für den angesammelten Schrott vergangener Jahre herhält, alles auf Null zurückstellt, die Musik als Kunst in den Vordergrund stellt.

Man kann hier einwenden, dass Myspace vor Jahren, Soundcloud heute bereits die technische Basis für diese andere Art des Musikmachens bereitstellt, dass der LoFi von gestern der am Laptop brillant abgemischte Bootleg-RMX von heute ist. Wer sich im Netz auf den einschlägigen Seiten rumtreibt, wird massenhaft kostenlose Musik entdecken, die sich von den im Essay geschmähten DJ Antoines dieser Welt abhebt. Stimmt tatsächlich, was die Autoren annehmen, dass „Dinge, die man gratis, mühelos, ohne Zutun erhält, nie den Stellenwert von etwas erreichen, was man erarbeiten muss?“

Es gibt auf der einen Seite Gebrauchsmusik, die für den schnellen Konsum hergestellt wurde. Als die Majors Ende der 80er an die Börse gingen, wurde massiv auf Kommerz gesetzt. „Die 90er sind voll von Bands, von denen man nach dem Debüt nie wieder etwas gehört hat.“ Es mag ebenfalls sein, dass Castingprojekte lediglich Schnelldreher sind. Der 55-jährige Geschäftsmann Yasushi Akimoto kam auf die Idee, „einen Pool von 92 süßen Mädchen in Schuluniformen und Bikinis zusammenzustellen, die als AKB48 ständig fluktuierend in einem eigenen Theater in Tokio ihre tägliche Popshow abliefern. Ihr Publikum ist fast ausschließlich männlich, dafür quer durch alle Generationen, und niemand geht nach der Show heim, ohne die aktuelle CD und weitere Merchandisingartikel zu kaufen. Das führt dazu, dass seit 2011 die japanischen Charts ununterbrochen von AKB48 und ihren Nachfolgeprojekten angeführt werden.“

„Musik=Müll“ fragt leidenschaftlich, welchen Wert wir den Hits und Indies, den Produzenten, Instrumentalgenies, dem Genre Pop zusprechen wollen, und was bei der MP3-Komprimierung eines Lieds zusätzlich zum Sound verlorengeht. Die Sprache ist bisweilen arg hitzig, es kommt zu Sätzen der Art: „Satt und unbefriedigt, oversexed und underfucked vom System erliegt er dessen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten.“ Deshalb ist „Musik=Müll“ weniger ein Essay über die „wertlose“ Popmusik von heute, sondern vielmehr Zeugnis eines anderen Phänomens. Die klassisch sozialisierte, in Filmen/Büchern wie „High Fidelity“ oder „American Psycho“ abgebildete Popgeneration der 70er bis 80er kommt mit den neuen Möglichkeiten der Musikbeschaffung, -archivierung und -einordnung schwer zurecht. Kulturpessimismus im Angesicht der Popmusik ist kein neues Phänomen. Theodor Adorno konnte sich wunderbar peinlich über den Jazz echauffieren: „Der Jazz verhält sich zu den Negern ähnlich wie die Salonmusik der Stehgeiger, die er so stählern meint überwunden zu haben, zu den Zigeunern (…) städtisch ist wie der Konsum so auch die Herstellung des Jazz, und die Haut der Neger so gut wie das Silber der Saxophone ein koloristischer Effekt.“

Die Grabenkämpfe zwischen Rock- und Technofans sind bekannt, und manifestieren sich dann in Bildergalerien wie diesen hier, was die „Gegenseite“ provoziert zu Kommentaren der Art „ROCK ist keine Musikrichtung…es ist eine Religion! *____*“ oder auch: „techno is fucking ugly fake shit, rock is the real music“. Die „reale Musik“ gegen den „fake shit“ – wie oft hat man das schon gehört? Daher ist ein Hinweis von Hans Platzgumer und Didi Neidhart beachtenswert: „Statt Lösungsansätze in unserem kulturellen Bewusstsein zu suchen, suchen wir sie in der Technik und drängen dadurch die Kultur – Musik als ein Teil von ihr – an den Rand.“ Ob die beiden Kulturpessimisten damit Recht haben, steht auf einem anderen Blatt Papier – aber als Abgleich mit der Form der eigenen Haltung zu Pop, Digitalisierung, Kostenloskultur et cetera ist dieser wütende Essay durchaus hilfreich. Unbequem. Unterhaltsam. Anders. Vor allem für Popfans mit zu niedrigem Blutdruck eine Medizin.

Hans Platzgumer, Didi Neidhart: „Musik=Müll“, Limbus, 128 Seiten, 10 Euro

Empfohlene Artikel

1 Kommentar

  1. […] eines wertschätzenderen Umgangs mit Musik nämlich nicht aufgegeben. Kulturpessimismus und die in Jan Drees’ Rezension vorgeworfene “altmodische Wut” kann ich nicht erkennen. Die beiden Autoren trauern […]

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.