Lokalperlen: Marusha

Wo Iro-Punks und schnauzbärtige Ostdeutsche in Signalwesten zwischen Hühnerleiter-Bewohnerinnen tanzen, gibt es wahrscheinlich einen Plattenspieler, der Technomusik mit Treppen hinabpurzelnden Rasseldosen spielt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag stand DJane Marusha hinter eben diesen Plattenspielern im Butan und mixte Keyboardsound, der inzwischen von etlichen Casio-Modellen gepackt wird, in Flashlight nachahmende Elektronikscratches.

Natürlich ist Marusha ein Popstarthema, immer gewesen, eine Harald Schmidt-Dauerbesucherin, die bunthaarig Ausgeflippte, von der selbst in Bankhausgängen gesprochen wird. Sie spielte ein Diskoset, zumeist alte Nummern aus I‘m raving-Zeiten, mit zeitgeistig wummernden Jetztbeats. Es existierte diese vage Erinnerung an „Somewhere over the rainbow“-Kitsch, Marushas großem Coverhit. Im Cut, im Aneinanderschneiden der Stücke, gab es manchmal leicht irritierende Momente, einen Beat, der nicht zum kommenden passen wollte. Die Frage blieb, ob es Absicht war, denn immer wieder konnte Marusha hochkommen und das gemischte, nett feiernde Butan-Publikum auf der Tanzfläche halten.

Die Berlinerin ist momentan schwanger, im fünften Monat und ihr altes Kernpublikum trägt auch irgendetwas mit sich herum. Es sind nicht nur bald schlüpfende Babys, sondern wahlweise die Sorgen des Milleniumalltags, über grauhaarige Arbeitskrämpfe, vielleicht auch nur ein Abfinden mit Schlumpftechno, der heute das komplette Genre blamiert. Jetzt folgt übrigens kein Nathalie de Borah-Abschweifen, weil die auch mal wieder im Butan auflegte, weil man jetzt herrlich über weibliche DJs räsonieren könnte, mit Monika Kruse-Verweis et cetera.

Weibliche DJs sind einfach kein Thema mehr. Vielleicht so viel: Im Club lagen Flyer und Buttons der lobenswerten Kampagne „Entscheid du“ aus, einer Kampagne von Jugendverbänden und Jugendringen zur Landtagswahl in NRW. Gleichzeitig erinnerte Marusha an eine Mittneunziger-Zeit, in der Loveparades politische Demonstrationen sein wollten und im Techno die vorerst letzte, wirklich relevante und Eltern aufscheuchende Protestkultur entstand. Die Maxime: Spaß. Hatten wir im Butan auch und gingen anschließend wählen, wegen Milleniums-Sorgen, Arbeitskrampf, Studiengebühren, Staatshaushalt, weil der Spruch „Entscheid‘ Du! (… oder soll Mutti?)“ motivierend wirken durfte, weil wir früh aufstanden, nicht einmal müde, kein bisschen verkatert. War was?

Foto: Josef Friedrich / Wikipedia

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