LitCOLOGNE: School of Rock (oder eben nicht)

„In jedem tüchtigen Menschen steckt ein Poet“. Unter diesem Motto von Marie von Ebner-Eschenbach lud der verdienstvolle Moderator Christoph Buchwald (Herausgeber des „Jahrbuchs der Lyrik“) gestern zum Gedichteabend ins „Gloria“. Die SchriftstellerInnen Herta Müller, Marcel Beyer, Ulf Stolterfoth, Simone Hirth und Marius Hulpe sollten mit ihm „über das Dichten, das Feilen, aktuelle Entwicklungen und Lieblingslyriker sprechen.

Die Dichter sind allesamt großartig. Ich erinnere mich an eine Lesung von Ulf Stolterfoth im unverständigerweise subventionierten Literaturhaus meiner Heimatstadt Wuppertal. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Mann ein tatsächlicher Sympath ist – Ulf Stolterfoth strahlt mit keiner Faser Betulichkeit aus, er ist auch kein Poetenaffe, der sich eitel in Versen und Gesprächen über Verse verlieren kann. Er ist einer der ganz Großen, wie Marcel Beyer, der zwar wie ein Stipendienabgreifautor wirkt und manchmal durch die Brust ins Auge schießt – aber ebenso viele liebens- wie bewundernswerte Szenen beschrieben hat. Herta Müller: über alle Zweifel erhaben und Marius Hulpe („wiederbelebung der lämmer“), 1982 in Soest geboren, engagiert in Literaturzeitschriften, Absolvent der Hildesheimer Schreibschule, wurde Retter meines Abends. Aber dazu später mehr, nachdem ich zu der 1984 geborenen Simone Hirth komme, die gestern als der Erste vortragen durfte…

…nachdem Christoph Buchwald vorgetragen hatte. Die Situation war für mich folgende: Ich saß am Tresen, im hinteren Bereich des roten Saals und das erste Bier schmeckte wieder nur nach Kölsch. Ich dachte an die eine und auch die andere Indie-Band, die ich im Gloria gesehen hatte, an KiWi-Prinz Feridun Zaimoglu („Liebenbrand“), an die alte Rampensau des vergangenen Jahres (nur getoppt von Clemens Meyer, klar), an die coole BELLA TRISTE-Lyrikanthologie mit dem goldenen Leporello, auf dem alle wichtigen, jungen, deutschen Dichter versammelt waren, abgezeichnet, lässig beisammen – Lyrik zum Aufhängen.

Aber ich dachte eben auch: Das ist „Lyrik zum Aufhängen“, als Christoph Buchwald zur betonschweren Eröffnung des Abends seine neunteilige Handreichung zu Bewertung und Genuss eines Gedichts vorlas. Gefühlte 30 Minuten dauerte dieser Exkurs, der auf schiefe Sprachbilder hinwies, auf platte Denk- und Sprachbilder, an die Kombination von Abstraktem und Konkretem („Im Spinnennetz meiner Gedanken“) – ich fühlte mich wie im Mittelschulunterricht und schaute betrübt zum Zapfhahn, der während der Lesung selbstverständlich nicht betätigt werden durfte. „Obwohl wir echt leise zapfen können“, entschuldigte sich einer der freundlichen Gloria-Barkeeper.

So saß ich auf dem Schemel und wartete auf Simone Hirth, die erste Autorin dieses Abends, der sich in die Länge ziehen würde, das ahnte ich bereits. Simone Hirth ist eine schwarzgekleidete, sehr sympathisch wirkende Frau, die in Alltagssprache über Alltagssituationen ganz außergewöhnliche Verse „schmieden“ kann: „Ja, wir glauben, unseren Möbeln geht es gut.“ Ein Gedicht hieß „Rehe hinter Bad Hersfeld“, ein anderes „Grüne Gespräche“, es ging um die „Berechnung des Stickstoffgehalts von Stille“, um Weltfrieden und um ganz viel Jetzt.

Nach der Lesung, eins nach dem anderen schnell hintereinander, wurde es betulich. Buchwald sprach Hirth auf den Titel „rückwärts“ an und dass es ohnehin auffalle, dass sie viele altertümliche Wörter verwende „Ich denke da an Weckglas oder Igel“. (Oder sagte er „Tiegel“? frage ich mich inzwischen) und sie durften debattieren, über den Inhalt von Zeitgeistgedichten, die oft eben nicht mehr sind als Zeitgeistprodukte, über Essenz, wie man bei der Zusammenstellung „des ersten Bandes zu einem „geschlossenen Ganzen“ komme und, sehr bemerkenswert, dass Hirth ein Gedicht flux umgeschrieben habe. Buchwald trug aus seiner Version vor: „Hier steht: Was kümmert mich mein Mobiliar, Frau Hirth, das ist jetzt ganz interessant, tragen sie doch bitte einmal vor, was Sie daraus gemacht haben.“ Frau Hirth (deren schwarze Kleidung von Satz zu Satz existentialistischer wirkte) räusperte sich und sagte: „Ja, hier steht Küche“. – „Küche, Küche – warum Küche, das ist doch sehr bemerkenswert, würde ich sagen.“ – „Nun, ja, das Mobiliar, das Möbel, das taucht ja bereits im ersten Gedicht auf, ich dachte, es tauche möglicherweise zu häufig auf an diesem Abends, ja und die Küche, die ist ja auch der Mittelpunkt der Wohnung.“ Woraufhin ich dachte: „Nicht für mich“ und ging, am Thalia-Stand vorbei (wo ich schnell den Marius-Hulpe-Band abgriff.) Das Beitragsbild ist von Wikipedia und zeigt Ulf Stolterfoht am Lyrikmarkt des Poesiefestivals Berlin 2015.

 

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