Linkradar: I bims, Herr der Ringe, Menasse mal Zwei

#95 In der vergangenen Woche wurden etliche Auszeichnungen verliehen, darunter der Kleistpreis an Ralf Rothmann und  der Österreichische Buchpreis an Eva Menasse für ihren Erzählband „Tiere für Fortgeschrittene“ – was nach dem Deutschen Buchpreis an ihren Halbbruder Robert Menasse (für „Die Hauptstadt“) meinen „Büchermarkt“-Kollegen Hubert Winkels zu dem Bonmot brachte, dass nun auch „ein Schweizer Menasse“ gefunden werden müsse. (Das Beitragsbild ist von Electric Literature, die gerade eine Serie von utopischen oder versunkenen Orten aus der Literaturgeschichte in einer Bilderstrecke präsentieren.)

Verse für alle: Die Open-Petion „Ein Gedicht je Ausgabe einer Zeitung“ ist deshalb bemerkenswert, weil Walther Stonet, Herausgeber des Feuilletonblogs „Zugetextet“ sehr viele Gründen liefert, und er wendet sich direkt an Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). „Es war einmal gute Tradition, in jeder Ausgabe eines Feuilleton wenigstens ein Gedicht einer aktuellen Poetin oder eines jungen Poeten zu präsentieren (…) Es ist ein Armutszeugnis, wenn wir heute in Buchhandlungen neben den Bestsellern nur noch die Klassik vorfinden: Goethe, Schiller, ein bisschen Hesse und ein wenig Rilke.“

Permanenter Klassiker: Das Börsenblatt berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe, dass die beiden Friedrich-Dürrenmatt-Stücke „Die Physiker“ und „Der Besuch der alten Dame“ aktuell auf der Taschenbuch-Bestsellerliste stehen. „Die Physiker“ liegen in der 79. Auflage vor und wurden im Taschenbuch bereits 4,2 Millionen Mal verkauft. Ein weiterer Longseller ist übrigens J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“. In der selben Ausgabe berichtet Klett-Cotta-Lektor Stephan Askani: „Fantasy-Literatur ist ein stabiles Segment. nach wie vor kommen junge Leser hinzu – sodass wir jährlich eine Zehntausend Exemplare vom Herrn der Ringe verkaufen.“

Im Büchermarkt: Schriftsteller Dorian Steinhoff arbeitet seit der vergangenen Woche als Rezensent für den Deutschlandfunk und hat „White Tears“ von Hari Kunzru, der „in diesem als Gesellschaftssatire angelegten Romananfang die Geschichte von Vereinnahmung und Kommerzialisierung schwarzer Musik durch weiße Musiker und Produzenten mit dem Authentizitätswahn der Gegenwart kurzschließt. Den beiden Hipstern Carter und Seth dient die Musik letztinstanzlich nur als Distinktionsmittel ihrer nostalgischen Sehnsucht. Eine Form des Selbstmitleids, auf die auch der nicht übersetzte Titel ‚White Tears‘ Bezug nimmt.“

Pausenbild

Vong-Schriftsteller Willy Nachdenklich (Bild) ist verantwortlich für das Jugendwort des Jahres „I bims“. Der Rheinische Merkur schreibt hier: „Vong … her“ ist ein Running Gag von „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“. ‚I bims‘ ein weiterer. Wer dieses genau erfunden hat, ist nicht klar. Es ist gut möglich, dass der ‚Nachdenkliche Sprüche mit Bilder‘-Macher (der übrigens Sebastian Zawrel heißt und aus Amberg stammt) es auch nur aufgegriffen hat. Sicher hingegen ist: Er hat ‚I bims’ populär gemacht.

Konsuminventur

Ein mal Eins bleibt Eins: Die taz berichtet hier über den chinesischen Großkonsumtag am 11.11., mit dem der Internetanbieter Alibaba ursprünglich die vielen Singles im Land mit Rabatten ködern wollte. „Nach den ersten zwei Stunden hat Chinas Internetgigant Alibaba über seine diversen Handelsplattformen Waren im Wert von umgerechnet mehr als 10 Milliarden Euro umgesetzt. (…) Am Ende sind es 22,86 Milliarden Euro. „Ein absoluter Rekord“, sagt Alibaba-Präsident Daniel Zhang. (…) Den ‚Tag der Singles‘ am 11. 11. gibt es in China schon seit mehr als 20 Jahren. Weil das Datum an diesem Tag nur aus Einsen besteht, hatten chinesische Studenten ihn in den späten neunziger Jahre zu einer Art Anti-Valentinstag erkoren, um mit Single-Partys oder Blind Dates aus der Not eine Tugend zu machen.“

Buch der Woche

Da Eva Menasse gerade ausgezeichnet worden ist gibt es heute einen Tipp aus dem Werk der österreichischen Schriftstellerin: „Lässliche Todsünden“, mit Frauen zum Niederknien: Da ist Mutter Ilka, „die sich sogar beim Kontrollverlust in gewissem Ausmaß zuschauen kann“. Die empfindsame Joana reagiert sogar auf Tee allergisch und nennt ihren Mann „mit hysterischer Stimme hysterisch.“ Aus einer demütigenden Bridget-Jones-Situation entwickelt die Journalistin Nora wiederum eine fatale Habgier, die rührend wirkt. Und die unbedarfte Marie-Thérèse, eine „doppelte Jungfrau“, ist fest davon überzeugt, „dass zwischen Gut und Böse eine robuste Mauer“ verläuft, „so unüberwindlich, wie jene in Berlin.“ Doch Wollust, Zorn und andere Todsünden zerstören das Idyll, immer wieder: Kinder rächen sich erbarmungslos, aus Unsicherheit wird Judenhass, hinter jedem Schwur steckt ein Betrug, Hochmut zerstört eine wahre Liebe. Noch besser als der gerade prämierte Erzählband. (Eva Menasse: „Lässliche Todsünden“, KiWi, 260 Seiten, 18,95 Euro)

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