Rezension: Light my Fire

Enlightenment mag die englischsprachige Übersetzung von „Aufklärung“ im Sinne Kants sein. „Lichtmächte“ von Dietmar Dath und Swantje Karich beschreibt dagegen, welche Konsequenzen entstehen, wenn man Bert Brechts Satz ernst nimmt, dass man nur jene sieht, die im Lichte sind.

„Die Intensitätsrüpeleien selbst der grellsten Genres – Porno, Splatter, Monumentalfantasy, Kinderkrawall, Feuerwerk – sind inzwischen so randvoll mit Geschichte, haben so viel Speicherplatz im kulturellen Gedächtnis erobert, dass man ihre Formen jederzeit zu Inhalten, ihre Inhalte jederzeit zu Abkürzungen der Rechenzeit qua Verweis auf Erwartungen machen kann, ihre Verweise auf Erwartungen jederzeit zu Zitaten, und diese Zitate jederzeit zu Stileigentümlichkeiten der Regie, also zu Formen und Förmchen umwidmen kann“, schreibt Dietmar Dath in dem gemeinsam mit F.A.Z.-Kollegin Swantje Karich entstandenen „Lichtmächte“-Buch.

Dieses beobachtet, in welcher Weise heute jene elektrifizierten Orte funktionieren, die mithilfe von (beleuchteten) Bildern „primär symbolische Veränderungen von Personen“ inszenieren, vortäuschen, verwirklichen, bereitstellen, simulieren. „Die Klage, alles sei Simulation, nichts mehr real, alles Manipulation und Betrug, nichts mehr echt und wahr, die man in anspruchsloser Form bei Verschwörungsspinnern im Netz, in anspruchsvollerer bei Jean Baudrillard finden kann, entpuppt sich als Klage darüber, dass man in Wirklichkeit eben nicht aufhören kann, Bildern zu glauben.“

Darin begründen Dath und Karich die Allgegenwart von Bildern und Gesichtern (Facebook) in unserer Kultur. „Lichtmächte“ ist ein Kompendium der Blickführung, von Emmanuelle Béarts gruseligem Facelifting bis zu den Performances von Marina Abramovic („Performance bedeutet, wenn Blut fließt und nicht Ketchup“), von den Zentralmetaphern der Phantastik bis zu Tolkien „Herr der Ringe“. Ist also, wie Peter Hacks es formuliert hat, der Film als „epische Gattung“ dem Roman näher als dem Drama und wie kann diese These anhand von Carl Theodor Dreyers Johanna-von-Orléans-Film aus dem Jahr 1928 belegt werden?

Wir müssen zu einer neuen Bildwissenschaft kommen, denn weshalb ist das Blockbusterkino spätestens seit den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts „in den meisten Fällen Science-Fiction oder SF-nah?“ Was passiert eigentlich, wenn man eine Zeitmaschine in eine Zeitmaschine stellt und innerhalb von deren Eigenzeit reist?“ In welchen Formen können, Film, Literatur, Malerei, Theater, Fotografie, Performance erzählerisch operieren und wann kann dieses Erzählen eben nicht dargestellt werden – weil es schlichtweg niemand verstehen würde? „Lichtmächte“ ist eine kulturwissenschaftliche, essayistisch angelegte Untersuchung, in deren Mittelpunkt die Erkenntnis steht: „Für das Netz und die Rechner, die daran hängen, sind Fotos und Filme so selbstverständlich gegeben, so sehr Rohstoff, wie für den Höhlenmaler die Kuh und Monet die Seerosen.“

Nicht die Entscheidung für Systemtheorie, Poststrukturalismus, klassische Hermeneutik, Raumwissenschaft, Gen-Ethik, Positivismus oder Digital Humanities beantwortet offene Fragen an die neue Licht- und Wörterwelt, sondern allenfalls das Zusammendenken unterschiedlicher Disziplinen, um der Deutungshoheit der angesprochenen Lichtmächte eine kulturwissenschaftliche Perspektive entgegenzusetzen. Denn noch sieht die als „Lichtmächte“ benannte Welt so aus, wie sie die scheidende Facebook-Chefin Sue Gardner beschreibt, wenn sie einen ehemaligen Mitarbeiter mit den Worten zitiert: „Die besten Köpfe meiner Generation denken nur noch darüber nach, wie man Menschen dazu verleitet, auf Werbung zu klicken. Das ist doch beschissen.“

Dietmar Dath/Swantje Karich: „Lichtmächte: Kino-Museum-Galerie-Öffentlichkeit“, diaphanes, 272 Seiten, 24,95 Euro

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1 Kommentar

  1. […] eigener Sache: Im LesenMitLinks-Blog gibt es neue Texte über Dietmar Daths/Swantje Karichs Lichtmächte, über Die Rezension des Lebens (aus der Balla Triste), über Trainspotting und John […]

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