Laut reden, nichts sagen

Karo ist kein Sonnenschein – ihre Autorin Sarah Kuttner schon. Die Ex-VIVA- und MTV-Moderatorin hat mit ihrem Debütroman „Mängelexemplar“ den Depressionsbestseller der Saison geschrieben. Ein Gespräch mit der Autorin über Castings beim Psychiater, Jodie Foster-Typen, Flüsse im Kopf und „fucking Events“.

„Meine Therapiestunden frustrieren mich. Ich bin das ganze Gerede über mich und meine Ängste langsam satt“, sagt Karo, die Heldin in Sarah Kuttners Debütroman „Mängelexemplar“, um dann 260 Seiten lang über ihre frustrierenden Therapiestunden und private Ängste zu sprechen. Karo ist gerade von ihrem Freund Philipp verlassen worden und hat daraufhin einen respektablen Nervenzusammenbruch erlitten. Die Hysterie ist zurück. Nach der letzten Panikattacke hatte Karo noch ein Hörspiel angemacht, „um abgelenkt einschlafen zu können.“

Doch dieses Ablenkungsmanöver hilft ab sofort nicht mehr. Karo ruft bei Lieblingskumpel Nelson an und weint: „Kannst du vielleicht schon ein bisschen früher kommen? Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht.“ Nelson bringt Karo in ein Krankenhaus. Danach geht es zur Kur, bei Mutti, die ihr Töchterchen in den Arm nimmt und den bewährten Bergkristallring hervorholt. „Bergkristall zieht schlechte Energie aus dir raus.“ Dann schleppt sie Karo zu einer Therapeutin, die wie Jodie Foster aussieht. Und jetzt endlich, erkennt die Ängstliche ihr Dilemma: „Ich bin ein bisschen kaputtgegangen.“ Das geht lange, vielleicht sogar viel zu lange weiter, dieses Jammern und Selbstbespiegeln und von frustrierenden Therapiestunden berichten – bis ein neuer Mann auftaucht, um das „Mängelexemplar“ Karo zu trösten und heile, heile zu kuscheln.

Die junge Dame fühlte sich aber auch lang genug innen drinnen krank: „Mein ganzes Leben lang war ich ein eher marodes Gebäude: morsche Holzbalken, schlecht verputzt, Löcher minderwertig ausgebessert, auf den ersten Blick erfolgreich, auf den zweiten auch. Dann kam der böse Wolf und hat gepustet, und jetzt bin ich in mir drin obdachlos.“ Da geht es Sarah Kuttner trotz lahmender Fernsehkarriere wesentlich besser. Nach ihrer Zeit als VIVA- und MTV-Moderatorin hat sie ein bisschen für die ARD gearbeitet und Kolumnen für die Süddeutsche Zeitung und den Musikexpress geschrieben. Eben diese Kolumnen sind als „Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens“ und „Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart“ erschienen. Beide waren erfolgreich. Und ganz so schlimm, wie es in süffisant berichtenden Medien behauptet wird, sieht Kuttner ihre Lage keineswegs.

„Ich drehe immer noch“, beruhigt sie alle Fans, „wir haben gerade die zweite Staffel von der Poetry-Slam-Sendung, die ich für den Sat1-Comedy mache, abgedreht und  für Kuttners Kleinanzeigen haben wir auch gerade die zweite Staffel fertiggestellt.“ Dieses Mal stellte sie in den Kleinanzeigen unter anderem jemanden vor, „der seinen Kopf als Werbefläche zur Verfügung stellt.“ Das kennt man ja von Schriftstellern, nur dass die eher ihre Innen-, denn ihre Außenseite als Werbefläche räumen. Die Popliteratur war ganz groß in diesen Dingen. Und Kuttner wundert sich: „Der würde sich da ein Logo reintätowieren lassen, und dafür will der dann ganz viel Geld, das war merkwürdig. Außerdem haben wir mit jemandem gedreht, der Leute sucht, um gemeinsam einen Sarg für sich zu bauen.“

Ob solche Freaks in einem zweiten Roman eine Rolle spielen werden, erzählt Kuttner nicht und für „Mängelexemplar“ streitet sie auch vehement ab, eigene Erlebnisse verarbeitet zu haben. Auch wenn die Sprache nah am locker-flockigen Fernseh-Slang entlanggetextet ist: „Natürlich werden in dem Roman Bilder gezeichnet, die man aus dem Fernsehen kennt, wie die Formulierung dass zum Psychiater oder zu einer Therapie gehen, wie ein Casting  oder so – in der Zeit lebe ich und ich das fand ich ein schönes Bild. Aber Karo arbeitet auch in dem Business, sie ist Eventmanagerin, deshalb ist das auch ihre Art, die Welt zu sehen. – Karo sollte ursprünglich in einer Tischlerei arbeiten, aber meine Freunde haben gesagt, das würde man mir nicht abnehmen, also hat ich mich an das gehalten, wovon ich Ahnung habe.“

Richtige Ängste, wie diese panische Karo, kennt Kuttner ebenfalls nicht: „Also, ich fürchte mit wirklich vor nichts Außergewöhnlichem. Das sind die üblichen Sachen halt. Ich finde große Insekten nicht so gut. Aber das sind natürlich so Quatschiängste. Ich habe natürlich Angst, beim Autounfall zu sterben oder dass Menschen, die mir wichtig sind, dass denen irgendetwas Doofes passiert oder dass ich irgendwann kein Geld mehr habe und auf der Straße wohnen muss – was aber nicht passieren wird, denn ich habe gespart. Ich bin, glaube ich, nicht ängstlicher als der durchschnittliche Deutsche.“

Auch das Schreiben bereitet ihr augenscheinlich keine Angst – „Mängelexemplar“ hat Kuttner in zwei Monaten geschrieben, ungewöhnlich schnell. Aber auch hier winkt sie ab, denn wenn man sich anständig bemühe, könnten durchaus zehn Seiten am Tag fertiggestellt werde. Dafür braucht es dann auch keine Rituale: „Ich habe schon ausgeschlafen, aber ich habe mir dann keinen Wecker gestellt, um so stechuhrenmäßig zu arbeiten, sondern ich habe meinen Tag ganz normal begonnen und mir nur vorgenommen – am heutigen Tag irgendwann mal was zu schreiben.“

So einfach ist das.„Mängelexemplar“ reiht sich in Neuerscheinungen wie „Der Beste Roman aller Zeiten“ von Oliver Maria Schmitt oder „Neuerscheinung“ von Michael Gantenberg ein, in Bücher, die ihr eigenes Buch-Sein im Titel thematisieren, ironisch, augenzwinkernd. Aber „Mängelexemplar“ hat keine Fehler. Das Buch erinnert an die leider untergegangene Knaur-Lemon-Reihe, in der vor fünf, sechs Jahren leicht bekömmliche, glücklich machende Popliteratur bereits vergessenen Autoren wie Markus Seidel, Thomas Mersch und Frank Rothe erschien. Außerdem ist „Mängelexemplar“ das moderne Gegenstück zum bereits elf Jahre alten „Soloalbum“ Benjamin von Stuckrad-Barres.

Diese Karo nervt vielleicht ein bisschen – „Mängelexemplar“ nervt dagegen nicht. Und falls jetzt jemand, wie bei Stuckrad-Barre körbeweise geschehen, die eigenen Sorgen auf die Autorin selbst abladen will, hat bei ihr schlechte Karten: „Na, ich bin ja nicht die Mutti von den allen“, sagt sie. „Ich bin ja keine Praxis für Psychotherapie oder keine psychiatrische Praxis und wenn Menschen, denen es schlecht geht, dieses Buch lesen, dann können sie im besten Fall den richtigen Weg ja schon rauslesen und zwar – lasst Euch helfen, geht zu Ärzten und was Ärzte, denn was die nicht ganzmachen können, kann ich dann natürlich auch nicht heile machen.“

Das klingt lässig, wie der erste Satz von „Mängelexemplar“ – so viel zum Schluss. Zu Beginn wird eine Therapie nämlich mit einem „fucking Event“ verglichen, was ein starker Einstieg ist, der sogar direkt am Anfang des ganzen Schreibprozesses stand: „Der war da, bevor ich die Idee hatte, ein Buch zu schreiben. Ich sass im Auto und erinnerte mich daran, dass mir eine Freundin erzählt hatte, dass ihr Psychiater, genau das gesagt hat, nämlich: Eine Depression ist ein fucking Event. Und der war ausschlaggebend, der erste Satz, Ich habe daran gedacht und gedacht – wow, das wäre ein toller erster Satz für ein Buch und dann erst ist mir eingefallen – ja, warum eigentlich nicht ein Buch darüber schreiben, über dieses Thema und dann bin ich nach Hause gefahren und habe losgelegt.“

(Sarah Kuttner: „Mängelexemplar“, Fischer, 272 Seiten, 14,95 Euro / Hörbuch bei Argon)

Bildcopyright: Marcus Hoehn

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