Kindesentführung, Kindsmord, Kinderpornographie

Volles Haus in Duisburg: Freitagabend eröffnete Schriftsteller Jan Costin Wagner die erste 1LIVE Klubbing Unterwegs-Sendung nach der Sommerpause. Im doppelstöckig ausgebuchten Hundertmeister las der bedächtige Wahlfinne und Pflichthesse aus seinem aktuellen Kriminalroman „Das Schweigen“.

Jetzt beginnt die Lesetour für Jan Costin Wagner. Jetzt muss er wieder reisen, durch Deutschland, Österreich, die Schweiz. „Bis in den Dezember geht es, erst einmal“, sagt er, „und hier fängt es an.“ Es ist passend, dass schon am Anfang dieser Reise das Motto kommender Monate vorweggenommen wird, das „Unterwegs“-Sein. Es ist mehr als Promotion für ein Buch. Es ist anders als bei Rockbands. „Manchmal kommt meine Familie mit.“ Dieses Reisen ist ein Zustand, der auf jeden Fall spannend klingt, aufregend – für einen zurückgenommenen Autor wie ihn aber bedeutet: „Nicht schreiben. Ich kann unterwegs nicht schreiben“, sagt Jan Costin Wagner, vor der Sendung, im spartanischen Backstage-Raum.

Braucht er seine Wohnung nahe Frankfurt, um im Geborgenen kreativ zu sein? „Das Schweigen ist zum großen Teil in Finnland, der Heimat meiner Frau entstanden.“ Aber Finnland, für die meisten Deutschen die Fremde, bedeutet für den Autor auch nicht unterwegs sein. Finnland bedeutet ankommen, inzwischen. „Früher bin ich gependelt, war ein halbes Jahr in Deutschland, dann wieder ein halbes Jahr in Finnland.“ Das waren Reisen – aber kein ständiges Unterwegs-Sein.

Das alles ist für Jan Costin Wagner anders besetzt. Das Schreiben hat, auf Nachfragen, für ihn durchaus etwas mit Reisen zu tun. Aber es ist nicht die Reise an geographische Orte. „Das Finnland meiner Bücher steht für eine besondere Atmosphäre, eine Gedankenwelt“, erklärt der Autor, „und wenn ich mich in dieser Welt, entlang der Handlung bewege, beim Schreiben, ist das auch eine Art Unterwegs-Sein.“ Jan Costin Wagner spricht von der „Allgegenwart des Romans“, während der Entstehung, dass ihm die Geschichte auch zum Supermarkt folgen kann, „das geht mir selbst alles an die Niere, was da passiert, es ist ja immer eine Begegnung mit meinen Ängsten.“ Im vorliegenden Roman heißen die Ängste: Kindesentführung, Kindsmord, Kinderpornographie. „Diesen Grenzen stelle ich mich dann, ich lote sie aus.“ Reise, Grenzen, Mit- und Nachkommen: Es ist ein schönes Bild, dass da ein Schriftsteller durchs Land reist, um von einer früheren Reise zu berichten, der Reise im Kopf.

Wie viele gute Reisen – der eine oder andere Harakiri-Globetrotter mag widersprechen – beginnt die literarische mit der Planung. „Ich gehe gut vorbereitet an den Schreibtisch“, sagt Jan Costin Wagner, „ich kenne den Inhalt, der Plot ist mir auch wichtig. Gleichzeitig lasse ich mich dann auf die Sprache ein. Das ist ein langsamer Prozess. Ich kann nicht dutzende Seiten hintereinander füllen.“

Beruhigend, dass der Autor genauso bedächtig wie die glücklichen Leser durch seine Landschaft reisen kann. Er hat es verdient. „Das Schweigen“ ist ein meisterhafter Roman und da er in allen Buchhandlungen liegt, muss er, der Roman, nicht bis zur eigenen Haustür reisen – er lässt sich abholen, kaufen und nimmt den Leser als Dankeschön einige Stunden mit, auf einen spannenden Trip. Freitagabend hat Jan Costin Wagner zum Schluss etwas schneller gelesen, weil das Ende, die Mitternacht, kurz bevor stand.

Und dieser Augenblick hat gezeigt: Durch seine Landschaften reist man, Bitteschön, in gemäßigtem Tempo. Mag das Ankommen und die damit verbundene Auflösung Ziel etlicher Krimis sein: Bei Jan Costin Wagner ist der Weg dahin viel wichtiger.

(Jan Costin Wagner: „Das Schweigen“, Eichborn, 284 Seiten, 19,95 Euro)

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