Rezension: „Kenn‘ ich dich“

Das ist keine Frage, sondern das große Thema in Michael Weins‘ mystischem Roman „Delfinarium“. Eine Frau verschwindet und taucht später an mehreren Orten gleichzeitig auf, Martin heißt Daniel und umgekehrt. Es gibt lebende Tote und tote Lebende, aber das hat trotzdem nichts mit Zombie-Filmen zu tun. Ein Rätsel.

„Kann ein Mensch zweimal existieren, so eine Art kosmischer Doppelbelichtung, in zwei unterschiedlichen Ausführungen, parallel irgendwie, zwei Leben, ein Individuum, Ost-West, ein Irrtum quasi, und irgendwann fällt dem Universum auf, dass es einen Fehler gemacht hat und puff! versucht es den eigenen Fehler zu korrigieren?“ Der mehrfach ausgezeichnete Hamburger Schriftsteller Michael Weins wagt sich im neuen Roman „Delfinarium“ auf unsicheres Terrain. Alles fängt ganz harmlos mit Susann an. „Hätte man mir vorher ein Foto gezeigt und gesagt: ‚Sieh her, diese Frau wird dein Leben verändern‘, ich hätte den Kopf geschüttelt und gelacht,“ Das sagt Daniel Martin, der 20-jährige Held auf der ersten Seite und weil das ganz anders als der Beginn einer großen Liebesgeschichte klingt, wird im Lauf der nächsten 200 Seiten auch etwas Neues daraus.

„Delfinarium“ ist ein melancholischer Thriller, ein Gespenstermärchen, ein Gruselroman und damit auf jeden Fall etwas ganz anderes, als Titel und Cover vermuten würden. Es geht nämlich nicht um Schiffe, eher darum, dass zwei davon auf dem Wasser zu sehen sind. Es geht auch wenig um Delfine, obwohl Daniel ein paar Mal im Delfinarium sitzen wird. Es geht vielmehr um ein großes Geheimnis, das mit einer Verwechslung erst so richtig Fahrt aufnimmt. Daniel besucht Henry, um sich bei ihm zu bewerben. Der gerade beurlaubte Ehemann möchte, dass Daniel auf seine Frau Susann aufpasst, mit ihr in den Zoo, ins Delfinarium geht. Susann schweigt seit beinahe einem halben Jahr, seit sie nach der Geburt ihres ersten Kindes für sieben Minuten ins Koma gefallen ist, als innerhalb von sieben Minuten mit ihr etwas Unerklärliches geschah, als sie in einer Welt träumte, die sie nahezu lebensunfähig entließ. „Sonst ist sie völlig in Ordnung, sie kann sich anziehen und so. Sie träumt nur ständig vor sich hin“, beruhigt Henry seinen Gast, den er konsequent „Martin“ nennen wird, weil er nicht verstanden hat, dass sich Daniel mit seinem Nachnamen vorgestellt hat.

cover_21_500Damit ist Daniel ab sofort zweimal vorhanden, als Daniel Martin und als Martin Daniel. Martin nennt ihn Petra, seine beste Freundin, die im Gegensatz zu ihm nach dem Abitur eine Idee vom Leben hatte und nun Jura im südschwedischen Lund studiert. Petra ist in den Semesterferien ins „Alte Land“ zurückgekehrt (bei Hamburg) wo die vielen Obstbäume wachsen. Sie engagiert sich gegen den geplanten Bau der lang umstrittenen Airbus-Landebahn und was das Ganze mit Susann und ihrem Komaunfall zu tun hat, kann nicht an dieser Stelle verraten werden. Aber das Ende dieses Romans ist ziemlich düster, rätselhaft, strange. Bis es soweit kommt, geht Daniel / Martin mit Susann ins Delfinarium und mit Petra in die Kirche, wo ihr Vater gegen Airbus predigt. Dann taucht, als Henry überraschend verreisen muss, ein zweiter Mann auf, der sich als „Max Braun“ vorstellt und behauptet, der richtige Ehemann von Susann zu sein, die obendrein angeblich Marie heißen soll.

Das ist ein bisschen viel für Daniel / Martin, der mit Henry / Max und Susann / Marie jetzt absolut überfordert ist und deshalb einen fatalen Fehler begehen wird. „Delfinarium“ ist ein Roman, der mit ganz vielen romantischen Motiven daherkommt, mit dem Doppelgänger- und dem Reisemotiv (hat mit Daniels Fehler zu tun). Und die sehnsüchtige Farbe „Blau“, die bereits der romantische Dichter Novalis‘ mit seiner „blauen Blume“ besang, die taucht ebenfalls auf. Bei Michael Weins ist sie allerdings die Farbe einer Lufthansa-Uniform, die Susann trägt, weil sie Stewardess gewesen sein soll, oben im Himmel, wo bereits jemand anderes auf sie wartet, während sie, als stumme Untote zwischen den vielen Lebenden im „Alten Land“, auf der Erde umherirrt.

Diese rätselhafte kleine Geschichte kommt verdammt beeindruckend daher. Dass Michael Weins ein guter Schriftsteller ist, hat er zuletzt mit seiner Geschichtensammlung „Krill“ bewiesen, die er vor zwei Jahren bei 1LIVE-Klubbing Unterwegs vorgestellt hat und in der auch ständig Menschen im und am Wasser und einmal auch im Delfinarium waren. „Delfinarium“, für den es mal wieder den Literatur-Förderpreis der Freien und Hansestadt Hamburg gab, ist ein weiterer Schritt nach oben. „Delfinarium“ ist bei Mairisch erschienen, einem der interessantesten kleinen, jungen Verlage, der nicht aus Berlin, sondern wie der Autor selbst aus dem schönen, weißen und klaren Hamburg kommt. Volle Fahrt voraus!

Michael Weins: „Delfinarium“, Mairisch, 208 Seiten, 17,90 Euro

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1 Kommentar

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