Interview: „Im Baseball darf man immer noch nicht schwul sein“

Chad s Baseballroman war in Amerika ein Bestseller. Jetzt ist das Buch in deutscher Übersetzung erschienen. Ein Gespräch mit dem Autor über Homosexualität und das Göttliche in Niederlagen. 

Unglaubliche 665.000 Dollar betrug der Vorschuss für Chad s Debüt „Die Kunst des Feldspiels“. Zehn Jahre lang hat der Amerikaner aus Wisconsin, der auch das Literaturmagazin „n+1“ mitgegründet hat, an seinem 600-seitigen Baseballroman geschrieben. Mehr als 250.000 Mal hat sich das Buch bislang in den USA verkauft, jetzt ist es auf Deutsch erschienen. – Die Geschichte ist uramerikanisch, sie erzählt vom Aufsteiger Henry Skrimshader, der als geniales Baseballtalent gehandelt wird, in eine Collegemannschaft einsteigt, zuerst steil emporschießt, dann jäh abstürzt – um sich dann an alte Größe heranzukämpfen. Das Interview fand zufällig genau nach dem Baseball-EM-Finale statt, das Titelverteidiger Italien mit 8:3 Punkten gegen die Niederlande gewann. Was das genau bedeutet, bleibt dem Baseball-Laien natürlich unverständlich, selbst nachdem man „Die Kunst des Feldspiels“ gelesen hat.

Halten Sie es für möglich, die Europäer für Baseball zu begeistern? Warum nicht? Seitdem die Niederlande im vergangenen Jahr den World Cup vor Kuba und Kanada gewonnen haben, gibt es dort viel mehr Baseball, als ich erwartet hatte. Nach meinen Lesungen wollten sehr viele Menschen mit mir über Baseball anstatt über Literatur reden. Die wirkten absolut begeistert.

Sie wirken fit. Wie oft trainieren Sie? Ich habe erst durch die Arbeit am Roman wieder angefangen, Sport zu machen. Ich spiele Tennis und seit sieben Jahren mit meinen New Yorker Freunden Rugby. Wir treffen uns jeden Samstag in Brooklyn, ein paar Leute von dem Magazin „n + 1“ sind auch dabei. Dieses Treffen strukturiert meine komplette Woche. Alles muss um dieses Rugby-Spiel herum organisiert werden.

Wollten Sie in Ihrer Jugend jemals Profisportler werden? Ich war ein bisschen wie Henry, meine Hauptfigur. Aber ich hatte bei Weitem nicht sein Talent. Ich war ein guter Athlet. Aber ich war zu klein.

Worin unterscheidet sich sportlicher von literarischem Erfolg? Ich bin immer noch ein Wettkampftyp, und glaube, dass Wettbewerb der Literatur nützt, solange fair gespielt wird. Du musst das Schreiben genauso ernst nehmen wie Leistungssport, dich genauso von dem Erfolg anderer anstacheln lassen.

Was haben Sie sich als Erstes von ihrem Vorschuss gekauft? Ich habe sehr vielen Menschen sehr viel Geld geschuldet. Nachdem ich meinen ersten Scheck erhalten hatte, musste ich wiederum sehr viele kleinere Schecks unterschreiben, um alle Gläubiger auszulösen. Danach blieb nicht viel für spektakuläre Neuanschaffungen übrig.

Ihr Buch zeigt, wie Geld die Art zu spielen beeinflusst. Auch die Art zu schreiben? Wahrscheinlich kann ich diese Frage erst in einem Jahr beantworten. Denn seit „Die Kunst des Feldspiels“ erschienen ist, befinde ich mich auf Promo-Tour. Bislang habe ich nur kleinere Sachen geschrieben, Artikel für „n + 1“ beispielsweise, und bin weit davon entfernt, an etwas Neuem zu schreiben. Aber ich bin mir sicher, dass Geld für die nötige Konzentration sorgt – es ist nicht leicht, am Schreibtisch zu sitzen, während man nicht weiß, wie die Miete bezahlt werden soll.

Ihre Geschichte spielt an einem College, das sich dafür rühmt, Herman Melville einst für einen Tag beherbergt zu haben. Hatten Sie jemals Sorge, dass Sie das gleiche Schicksal wie Melville ereilt – Sie schreiben einen „Moby Dick“, und niemandem fällt die Größe Ihres Romans auf? Ich steckte so tief in meiner Arbeit, dass für solche Gedanken kein Raum existierte. Meine Sorge war eher: Werde ich das Buch beenden können? Und die Größe von „Moby Dick“ wurde zwar erst nach seinem Tod offenbar. Sein Debüt hatte sich aber großartig verkauft.

Wie groß war die Enttäuschung, als das Pulitzerpreis-Komitee im Frühjahr bekannt gab, sie würde die Verleihung deshalb aussetzen, weil 2011 kein preiswürdiger Roman erschienen sei? Es geht bei dieser Sache gar nicht so sehr um mich. Ich glaube, es gibt einen Fehler in der Struktur der Preisvergabe. Ein Vorabkomitee sucht drei Bücher aus – und die Juroren wollten sich für keines dieser drei Bücher entscheiden. Das kann ja passieren. Aber dann muss man noch einmal von vorne suchen, anstatt die ganze Verleihung abzusagen.

Sie erzählen viel von Entsagungen, die Sportler für den Erfolg auf sich nehmen – ist diese Lebensart nicht fürchterlich unmodern? Aber sie ist typisch für die Art und Weise, wie die Gesellschaft Athleten wahrnimmt – als quasireligiöse, sich aufopfernde Vorbilder. Wir bewundern Sportler, weil sie sich Ihrem Handwerk unterwerfen, ebenso wie Künstler, Musiker, Schriftsteller.

Gerade gibt es in Deutschland eine große Debatte über schwule Fußballspieler, die sich nicht outen wollen. Zwei Ihrer Helden sind schwul. Gibt es schwule Baseballspieler? Nicht offiziell, vor allem nicht während der aktiven Zeit eines Sportlers. Auch wenn sich vieles in den USA geändert hat – die Einstellung zu homosexuellen Athleten gehört nicht dazu. Viele Athleten geben in Interviews an, es sei schön, einen schwulen Mitspieler zu haben. Geoutet hat sich dennoch niemand.

Wozu braucht die Gesellschaft durchtrainierte Helden in einer postheroischen Zeit? Erfolgreiche Sportler gehören zu den bekanntesten Personen der USA, sind viel wichtiger als Schriftsteller oder bildende Künstler – was vor 50 Jahren noch anders gewesen ist. Sport besetzt den Aufmerksamkeitsraum der Kunst.

Warum interessieren wir uns für gefallene Sportstars – wie Ihren Helden Henry Skrimshader? In der Niederlage bekommt das Perfekte einen Riss, das Göttliche wird menschlich, die gleichen Sportler, die in Interviews oft so unfassbar langweilig sind, werden nun auch als Mensch interessant. Das lieben die Leute.

Im antiken Griechenland wurden sowohl Sportler als auch Literaten für herausragende Leistungen mit dem Lorbeerkranz geehrt. Es gab Dichterwettbewerbe vor Publikum. Können Sie Gründe dafür nennen, weshalb Literatur olympisch werden sollte? Erst einmal wäre es ein großer Spaß. Für unsere Gesellschaft wäre es eine gute Sache, wenn Literatur und Kunst auf der gleichen Ebene wie der Spitzensport stehen würden.

Chad Harbach: „Die Kunst des Feldspiels“, übersetzt von Stephan Kleiner und Johann Christoph Maass, Dumont, 608 S., 21,99 Euro.

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