Interview: „Hallo, Herr Mäusepimmel“

Sue Reindke, als @HappySchnitzel im Netz unterwegs, hat Spam archiviert und in einem Buch veröffentlicht. Mit uns sprach sie über Love-Scam, Phishing-Mails und den geheimen Wünschen liebesbedürftiger, dicker, haarloser und armer Menschen. – Sie versprechen uns dünnere Taillen, längeren Sex, dickere Konten, schöne Partner, kurzum „anstrengungslosen Wohlstand“, mit einem Klick zu erreichen. Spammer legen uns eine Welt zu Füßen, die bislang in den Sternen existierte.

Lohnt es sich, Spam zu beantworten, wenn wieder mal ein afrikanischer Diktator ein paar Millionen transferieren mag? Ein Journalist hat es vor Kurzem sogar geschafft, dass ihm der Spammer Geld überwiesen hat. Aber das ist die Ausnahme. Anders sieht es bei Spam aus, bei dem man nur auf einen Link klicken soll. Die wollen auf gar keinen Fall mit einem schreiben.

Üblicherweise löschen wir Spam. Warum hast Du gesammelt? Alles fing mit einer Spam-Lesung auf der re:publica an. Danach war ich begeistert. Um mehr Spam zu bekommen, habe ich mich bei ominösen Gewinnspielseiten angemeldet, selbstverständlich unter anderem Namen.

So kamen die Spammer an deine E-Mail. Wie kommen sie an meine Adresse? Vermutlich steht deine E-Mailadresse auf deiner Website.

Ich habe statt eines @-Zeichens ein [at] ins Impressum gesetzt… Das ist sehr raffiniert. Dennoch ist man manchmal freizügig mit seiner Mailadresse.

Ein Spam-Beispiel aus dem Buch Betreff: Darlehen anbietet !!! „Hallo. Sie benötigen keine finanzielle Hilfe? Wir sind Unternehmens-Kreditgeber. Wir bieten Darlehen an die auf der ganzen Welt. Unser Angebot reicht von 10.000,00 EUR ist um 100.000.000,00 EUR um 2 % Zinsen pro aufzuheben. Viele Grüße. Geschäftsführer. Dr. Wendy Watt“

Wer antwortet auf Spam? Es gibt diesen Love-Scam, in dem jemand behauptet, man sei der schönste Mensch der Welt und ein anderer wäre auf das Profil einer Datingseite aufmerksam geworden. Es gibt einsame Menschen, die darauf reinfallen.

Das fliegt doch schnell auf, oder? Manchmal kann man mit dem fiktiven Verehrer sogar skypen oder mailen. Also, da ist jemand, auf der anderen Seite. Wenn man das glauben möchte, reflektiert man nicht, dass  diese Scam-Mail eine Erfindung sein muss, beispielsweise weil man in besagter Singlebörse gar nicht seine Emailadresse hinterlegt hat.

Der computeraffine Single fällt also darauf rein? Ich glaube, dass das keine Computerfreaks sind, sondern eher Menschen, die einmal in der Woche ihre Mails lesen und denken, dass Google und Wikipedia das Internet sind. Betrug klappt ja auch im echten Leben, wie der Enkeltrickbetrug. Darauf fallen gutgläubige Menschen ebenfalls rein.

Ein Spam-Beispiel aus dem Buch Betreff: Herr Mäusepimmel – 7 Kapseln – Tage – 7cm länger. „Stellen Sie sich folgendes Gespräch unter Frauen vor: Er ist 7cm länger und auch dicker! Er ist hart wie ein Stein und bleibt so ein bis zwei Stunden lang! Er füllt mich völlig aus und ich hatte noch nie so viele Orgasmen. Wie wäre es, wenn man sich das über Sie erzählt? Würden Sie sich nicht wie der Mittelpunkt der Welt fühlen, ein echter Hengst?“

Es gibt diese eher schmierigen Viagra-Spam-Mails. Aber es gibt auch literarische Perlen, von denen du einige im Buch archiviert hast. Wieso schickt jemand eine 16-seitige Umdichtung des Village People-Songs „In the Navy“ rum? Ich glaube, das sind Menschen, die auch im Heise-Forum oder bei Spiegel-Online die Kommentare schreiben, weil sie glaube, sie hätten eine Mission. Diese Umdichtung ist eine Kritik an der Bundeswehr.

Ist das schon Literatur? Ich glaube, es ist unfreiwilliger Weise Literatur, ebenso wie es unfreiwillig lustig ist. Aber sie haben einen eigenen Unterhaltenswert, ebenso wie die Texte auf Cremes in Supermärkten. Wenn im Spam steht, „Sie als Frau haben ja auch eigene Talente“, oder wenn jemand seine Dating-Ausbildung über Spam verkaufen will, dann ist das eher Werbung für Bücher. Echte Literaten, die den Bachmann-Preis gewinnen wollen, machen darum eher einen Bogen.

Info: Dennoch gibt es SpamLiteratur. Sie gehört ebenso wie SMS-Lyrik, Twitterature, Maschinentexte, Konsumpoesie und E-Mail-Romanen zu den neueren Formen elektronischer „Literatur“. Jan Kossdorff hat 2010 das Mailodram „Spam“ veröffentlicht. Diese Woche erscheint im Berliner mikrotext-Verlag das E-Book „Spam Poetry. Sex der Industrie für jeden“ von Thomas Palzer.

Aber wer schreibt Spam? Gibt es eine Spam-Mafia? Es ist sehr schwer nachzuvollziehen, wer schreibt. Man kommt an diese Leute auch nicht ran. Die sind technisch versierter als beispielsweise unserer Polizeibehörden.

Gleichzeitig profitieren einige Leute durch Spam? Durch Spam werden natürlich Spam-Filter verkauft. So funktioniert unser System, wie These und Antithese. Es gibt Waffen und Waffenschutzsysteme. Es gibt immer ein Problem und zu diesem Problem die Lösung.

Nur weiß man nicht, ob Urheber und Helfer dieses Problems die gleichen Menschen sind. Welche Probleme redet uns Spam denn ein? Spam ist ein hervorragender Spiegel unserer Gesellschaft. Wir sollen uns zu dick fühlen, wir sehnen uns nach Liebe, wir brauchen mehr Geld. All diese Sehnsüchte will Spam befriedigen.

Ein Spam-Beispiel aus dem Buch Betreff: Gottesfürchtige Babys zur Adoption „Hallo Mein Lieber, Wir möchten Sie darüber informieren, dass alle deine Träume geworden durch die Gnade Gottes allmächtigen Echtzeit. Wir sind eine Familie von Heiligen Josehp Seminar in Kamerun wollen wir Sie wissen lassen, unsere Babys haben wir ihnen gegeben sind out, wir erfüllen Ihnen im Namen der heiligen Maria, unsere Mutter. Wir haben sowohl Männchen und Weibchen Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren bereit, jede Familie. Schwester Mirabl Jonse“

Ich habe in deinem Buch auch langsamer gelesen, als mehrere Lösungen gegen Haarausfall angezeigt wurden. Lohnt es sich nicht doch, hin und wieder Spam ernst zu nehmen? Da muss ich dich enttäuschen. Man kann bei keiner Lotterie gewinnen, wenn man kein Los gekauft hat. Niemand möchte ohne Schufa-Auskunft Kredite vergeben, erst recht nicht in der absurden Höhe von 100 Millionen Dollar. Nirgendwo leben gottesfürchtige Kinder, die darauf warten, von Menschen aus dem Westen adoptiert zu werde. Spam ist immer eine Erfindung, ein Spiel mit unseren Sehnsüchten.

Sue Reindke: „Spam“, Rowohlt, 320 Seiten, 8,99 Euro // Thomas Palzer: „Spam Poetry“, mikrotext, 80 Seiten, 2,99 Euro // Jan Kossdorff: „Spam – Ein Mailodram“, Milena, 290 Seiten, 16,90 Euro

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