Gastbeitrag: Kalter Lufthauch der Geschichte

Die Templer haben Generationen von Schriftstellern in ihren Bann gezogen, von Lessing, Walter Scott, Henryk Sienkewicz und Franz Spunda bis zu Pierre Klossowski, Zbigniew Herbert, Umberto Eco und Wolfgang Hohlbein. Von deren Büchern hebt sich Ernst Sommer mit seinem historischen Roman ab, der ein sorgsam recherchiertes, bis heute gültiges Zeitbild liefert. Mein Deutschlandfunk-Kollege Michael Köhler hat für den „Büchermarkt“ eine umfangreiche und bewundernswert informierte Rezension, die mich so sehr begeistert hat, dass ich darum bat, seinen Text im „Lesen mit Links“-Blog zu veröffentlichen. Es hier ist es seine Bühne – und die einer großen Wiederentdeckung:

Dies ist kein Splatter-Movie in Buchform über mordende Ritter oder die SS des Mittelalters. Alles, was wir an populärkulturellen Bearbeitungen über den Orden, dessen angeblichen Geheimpraktiken und seinen blutrünstigen Feldzug im Zeichen des Kreuzes zu wissen meinen, straft Ernst Sommer in diesem Roman mit historischer Präzision.

Theologen und Archäologen sind gut beraten, Thomas Manns „Josephs-Roman“ über das Alte Testament zu lesen, der – nach Ernst Bloch –, den Mythos ins Humane überführt. Und nicht nur Mittelalter-Historiker sind gut beraten, diesen „Templer“-Roman von Ernst Sommer künftig auf ihre Leselisten zu setzen. Denn er überführt die falsche Mär vom grausamen Templer-Orden ins Menschliche und historisch Zutreffende. Es ist die Geschichte eines Justizskandals und der Auslöschung einer Bevölkerungsgruppe unter totalitärer Herrschaft. Darin geht es nicht um eine geheime Clique, die die Macht an sich reißen will, sondern um eine elitäre Ordens-Minderheit, die zwischen die Räder von Kirche und Krone gerät, weil sie zu reich und zu machtvoll wurde. Der Göttinger Historiker Frank Rexroth über die historischen Templer:

„Sie werden zu Experten für Finanztransaktionen. Sie wissen, wie man das macht, auch eine große Menge an Pferden zu verschiffen und sind deshalb auch ganz wichtig in einem weltlichen Sinn, nehmen Funktionen ein, die wir vielleicht eher bei Banken oder dergleichen vermuten würden. Sie sind so die ersten Experten für Finanztransaktionen, die das Mittelalter kennt.“

Wer, wie die Templer, eine Art supranationaler Staat im Staate bildete und mit Privilegien der Steuereinnahmen befugt war, stellte am Ende eine Gefahr für die Herrschenden dar. Päpste und Könige mussten diese Fin-Tech-Spezialisten fürchten. Es hat die Templer am Ende buchstäblich den Kopf gekostet.

Was Ernst Sommer schon 1935 veröffentlichte ist nichts anderes als ein historischer Roman über eine verfolgte Gruppe, die der skrupellosen Herrschaft von Thron und Altar gefährlich wurden. Die Verfolgung geht nicht von den Tempelherren aus, sondern von der meuchlerischen Gesellschaft, aus der sie ausscheren.

Hier könnte die Besprechung enden, weil Ernst Sommers Roman nicht nur ein historischer Roman ist, sondern – 1933 begonnen – ein frühes Zeugnis dafür ist, was passiert, wenn totalitäre Herrschaft um sich greift. Ein Roman über die Verfolgung während der NS-Zeit im Kleide eines historischen Romans aus dem 11. bis 13. Jahrhundert.

Der Arco Verlag ist mit der Neuausgabe dem klugen Grundsatz gefolgt: Vor dem Auslegen kommt das Vorlegen. Dieser Roman liegt nun wieder vor. Und er muss künftig gemeinsam mit anderen historischen Romanen wie Franz Werfels „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ aus dem Jahr 1933 über den Völkermord an den Armeniern genannt werden.

Jerusalem war 1244 gefallen; die Heiligen Stätten besetzt oder zerstört. Die Christen waren aus dem Heiligen Land verdrängt worden. Damit beginnt der Roman. Mit Verwüstung und Vertreibung. Mit Fremdherrschaft. Die Tempelherren leben nach der Benediktsregel und haben Armut, Gehorsam und Schutz der Pilger gelobt. Die Aufgabe des Ordens, nämlich das Heilige Land wiederzuerobern, kommt bei Ernst Sommer vergleichsweise kurz. Es geht ihm nicht um die Glaubensritter, die bewaffnet zu Felde ziehen, sondern die vor Gericht Gezerrten, die am Ende zu Unrecht Verurteilten.

Die Templer sind selbstverständlich kein mordender Haufen gewesen. Sie standen nicht mit dem Teufel im Bund. Sie haben nicht auf das Kruzifix uriniert, und so weiter., und so fort, sondern sie waren ein Ritterorden wie andere Orden auch.“ – Das sagt der Mittelalterhistoriker Frank Rexroth von der Uni Göttingen.

Schriftsteller Ernst Sommer geht es um die angefeindeten Sympathieträger. In ganz Europa waren den Templern nämlich Reichtümer zugeflossen. Sie erbten Schlösser und Ländereien. Sie stiegen zu einflussreichen Finanzinvestoren und Marktteilnehmern auf.

Rexroth: „Die Templer waren in doppelter Hinsicht ein erfolgreicher Orden. Einmal, indem man lange Zeit diese Kombination von Rittergeist, Rittertum und Ordensleben sehr geschätzt hat. Dadurch sind dem Orden in Testamenten und auf anderen Wegen viele Güter von frommen Menschen übertragen worden. Der Orden ist gerade paradoxerweise dadurch, dass er Armut versucht hat zu leben, zur willkommenen Andock-Station für große Vermögen geworden, so gesehen also ein Opfer seines Erfolgs.“

Ernst Sommer lässt aber auch keine Zweifel, dass es sich bei den Tempelherren um einen Orden handelt, der strengsten Gehorsam verlangt. Der Präzeptor spricht zu den Novizen: „Ihr habt bei Gott und Maria, unserer lieben Frauen, gelobt, dem Meister und Konvent euer Leben lang Gehorsam zu leisten. Gehorsam ist blind, sonst ist er kein Gehorsam. Wenn ich befehle, diesen Gekreuzigten mit Füßen zu treten, werdet ihr gehorchen? (…) Ihr werdet gehorchen!“

Später wird den Templern das zum Verhängnis. Sie werden der Häresie und Sodomie bezichtigt. Ihnen wird nachgesagt, sie würden sogar auf das Kreuz speien und ihre Begierde an Brüdern stillen. So wird man gefährliche Rivalen im Staat los: durch Denunziation.

Seit etwa 1230 gibt es dieses Vorurteil. Weil der Orden auf der anderen Seite des Mittelmers groß wurde, stand er unter dem Einfluss orientalischer Kräfte, magischer Praktiken, war mit Dämonen im Bunde und Ordensmitglieder küssten Katzen auf den After. Das wurde ihnen alles nachgesagt und konnte mentalitätsgeschichtlich abgerufen werden, erklärt Historiker Rexroth.

Der Orden wird 1312 aufgelöst und Jakob de Molay, der letzte Großmeister, wird am 18. März 1314, vor gut 705 Jahren, auf dem Scheiterhaufen der Pariser Ile de la Cité verbrannt. König Philipp von Frankreich hatte den Papst dazu gezwungen der Hinrichtung zuzustimmen. Er hatte gute Gründe. Er war bei den Templern verschuldet. Die hatten ein Jahreseinkommen, das viermal so groß wie das der französischen Krone war.

Und von Leopold von Ranke stammt das Wort, dass uns in diesem Prozess „der kalte Lufthauch der modernen Geschichte zum ersten Mal entgegenschlägt.“ Historiker Rexroth erklärt, dass es sich hier um einen Justizskandal handelt wie es ihn erst wieder in der Neuzeit wiedergibt.

Ernst Sommer beschreibt in seinem historischen Roman über die Templer schon 1935, wie ein totalitärer Herrscher ganze Bevölkerungsgruppen entrechtet und zu Zwangsabgaben drängt. Der französische König Philipp, der Schöne, verhängt Steuern auch auf kirchlichen Besitz. Damit wird aber nicht nur Geld abgegeben, sondern insbesondere Macht.  Papst Bonifaz muss auf den Peterspfennig aus Rom zugunsten des französischen Königs verzichten. Finanzpolitik war schon damals Machtpolitik. Ernst Sommer schreibt: „Der Papst begann zu erkennen, dass er bei dieser Skrupellosigkeit in der Wahl der Mittel seinem Gegner nicht gewachsen war.“

Der Hass zwischen König und Papst, zwischen Staat und Kirche begann ins Grenzenlose zu wachsen. König Philipp spottet der Verkündigung päpstlicher Allgewalt. Papst Bonifaz bleibt nichts anderes übrig, als König Philipp zu exkommunizieren.

Nicht die Tempelherren hatten moralisch gefehlt, sondern die Raubgier und kriminelle Energie Philipps ist das Übel. So liest sich der historische Roman „Die Templer“ über einen mittelalterlichen Stoff auch als Verfolgungsgeschichte und Geschichte willkürlicher Unrechts-Verhöre.

In seinem klugen Nachwort beschreibt Herausgeber Christoph Haacker den „Templer“-Roman Ernst Sommers als „Chronik eines Justizmordes des Mittelalters und visionären Roman des Widerstandes gegen den Totalitarismus“. Das klingt nach DDR-Germanistik ist in der Sache aber richtig.

Der Göttinger Historiker Rexroth über die Absicht Philipps von Frankreich, die Templer in einem Schauprozess der Häresie zu überführen: „Im Grunde kann man diesen Prozess, den er dann führt, ab dieser bemerkenswerten Polizeiaktion im Oktober 1307, kann man richtig als einen politischen Prozess begreifen, bei dem sich ein Schuldner seines Gläubigers entledigt.“

Die literarischen oder cineastischen Verarbeitungen wie Dan Brows „Sakrileg“ verfilmt im „Da Vinci Code“ mit Tom Hanks zielen auf die geheimbündische Verschwörung einer obskuren Organisation. Herausgeber Christoph Haacker betont, dass unter den lieferbaren belletristischen Titeln keiner sei, der dem „Niveau und Anspruch nach, Ernst Sommers über achtzig Jahre alten Roman `Die Templer´ nahe käme“.

Das Thema des Romans, Staatswillkür, Zensur, Schauprozesse, Verhöre, Verhaftungen, die Unterordnung des Einzelnen unter Ordensgesetzte, wie auch die Verfolgung und Ausrottung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist unverändert aktuell.  Hellsichtig hatte Ernst Sommer schon 1933, im Jahr der sogenannten „Machtergreifung“ Hitlers, mit dem Roman begonnen. Der Arco Verlag hat einen bedeutenden Exilschriftsteller damit wiederaufgelegt, beginnt damit seine Werkausgabe und macht Ernst Sommers Werk einem deutschsprachigen Lesepublikum erneut verfügbar.

„Die Templer“ ist ein historisch präziser Roman über einen autoritären Staatsapparat, über gewissenlose Despoten, über Schein-Prozesse und Menschenverfolgung. Die Parallelen zur NS-Zeit springen in die Augen. Eine Lovestory gibt es da nicht. Die äußeren Ereignisse erlauben keine moderne Introspektion. Sommer beschreibt quasi das technische Vorgehen beim Schuldnachweis der Ketzerei. Verhöre und Protokolle haben nur ein Ziel: die Templer zu vernichten. Inquisitorisch kühl ist daher die Sprache. Die Präzision Ernst Sommers ist allerdings auch anstrengend. Die Fülle der Namen und Ereignisse hätte ein Glossar hilfreich gemacht. Für jede künftige Beschäftigung mit Ernst Sommer, mit der Exilliteratur, oder dem Templerstoff hat der Arco Verlag eine vorzügliche Studienausgabe bereitgestellt.

Ernst Sommer: „Die Templer“, Hrsg. und mit einem Nachwort von Christoph Haacker im Rahmen der Bibliothek der böhmischen Länder, Arco Verlag, Wuppertal, 496 Seiten, 24 Euro

Empfohlene Artikel