Die schönsten Bilderbücher im September

Der Verlust eines Zahns ist schlimmer als der eines Buchstabens – und die Angst vor Ablehnung größer als die vor Gespenstern. Das zeigen die „Lesen mit Links“-Bilderbücher des Monats

Zahlreich ist die Auswahl an Fibeln für das Vorschul- und Erstlesealter; dieses ausgelassene ABC kommt jedoch als hintersinniges Quiz, mit einer bestechenden Idee. Von A bis Z werden Worte vorgestellt, in denen der je betrachtete Buchstabe fehlt, nach dem stets ähnlichen Schema: „Ohne B läuft der Bruder aus dem Ruder“, die Post wirbt mit dem Slogan „Schrei mal wieder“, und frierende Tiere sitzen auf Schollen bei der Eishocke-WM. Das Prinzip ist schnell verstanden, überrascht aber wegen der je verschiedenen Ecke, um die man denken muss. Vom Reisboxer bis zum Otterleben werden die Rätsel auf teilweise nah am Wimmelbild stehenden Doppelseiten präsentiert. Dieses Buch ist ein Ratespaß für – wie es so schön heißt: Jung und Alt. Wir warten nun auf alle denkbaren Gegenstücke, die erzählen könnten von Meer- und Wenigerschweinchen, oder auch vom Zwickel am Wickel. Inspirierendes Buch. / Ina Hattenauer: „Das ausgelassene ABC“, Gerstenberg, 56 Seiten, 13 Euro (empfohlenes Alter 4-6 Jahre).

Schnell vergessen wir, dass uns die Welt in jeder Hinsicht fremd gewesen sein muss, als wir auf die Welt kamen, dass alles, was wir in den ersten Jahren durchlebten, neu war. Es gibt zahlreiche Bücher, die sich den kindlichen Irritationen hinwenden, und faszinierend bleibt, dass viele Phänomene kulturübergreifend gleich sind, eben weil uns als Menschen mehr verbindet denn trennt. Die chinesische Kinderbuchautorin Liu Xun hat Kunsthandwerk studiert, und im Bereich Design und Animationsfilm gearbeitet (viel kann man schreiben über die Verbindung von Film und Bilderbuch). Seit der Geburt ihrer Tochter begann sie, sich intensiv mit Bilderbüchern auseinanderzusetzen. Eben diese Tochter ist nun Vorbild für das kleine Mädchen, das in einem heruntergekommenen, jedoch überaus friedlichen Stadtviertel wohnt, und eines Morgens mit Blutgeschmack im Mund aufwacht:

„Und da war ein kleines Ding in meinem Mund. Ich nahm es heraus und sah gleich: Der Vorderzahn, der schon so lange gewackelt hatte, war mir endlich ausgefallen.“ Weil ihr Großvater gesagt hat, man müsste den ersten Milchzahn aufs Dach werfen, geht das Kind los, durch die Gassen, ihren Opa suchen, vorbei an alten Mauern, deren Putz abgebröckelt ist, sodass die freien Stellen an wilde Tiere erinnern. Die Poesie dieses kleinen Buchs besteht darin, dass es mystisches Denken, eine alltägliche Kindheitsbegebenheit und die chinesische Moderne zusammendenkt; weil dieses verfallen-verwunschene Viertel bald abgerissen werden soll, um hypermodernen Hochhäusern Platz zu machen, auf die gleiche Weise, wie – man ahnt es bereits – der Milchzahn Platz macht dem aufregend Neuen, das sich ankündigt. / Liu Xun (Text + Illustration): „Zähnchen, Zähnchen auf dem Dach!“, aus dem Chinesischen von Leonie Weidel, Edition Bracklo, Gräfelfing, 36 Seiten, 19,80 Euro (empfohlenes Alter: 5-7 Jahre).

Dass wir uns weder vor wilden Kerlen, noch vor gruseligen Wesen wie „Monsta“ (Dita Zipfel) fürchten müssen, zeigen zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Bemerkenswert war zuletzt auch „Ich und meine Angst“ von Francesca Sanna. „Ich Die US-amerikanische Illustratorin Rebecca Green (Jahrgang 1986) zeigt in ihrem anrührenden Kinderbuchdebüt, wie der hier angesprochene kleine Leser Freundschaft schließen kann mit den kleinen Wesen, denen kaum auf die Spur zu kommen ist. „Bist Du aber lieb und freundlich und hast ein gutes Herz, dann kann es sein, dass ein Geist ganz von allein erscheint und Dich findet.“ Gespenster, üblicherweise sind sie einen halben Meter groß, essen gern einen Insektenmix mit Zimtzucker oder Ohrenwachstrüffel. Sie lieben Waldspaziergänge und sammeln (wie Kinder) mit Vorliebe Blätter, Eicheln und Würmer. Für Erwachsene mag das Ich etwas Unheimliches sein – aber Kinder werden sich wiedererkennen in diesem kleinen Gespenst, das eine weiß-schimmernde Vorbereitung ist auf die Bücher von Otfried Preußler. / Rebecca Green: „Wie man sich mit einem Gespenst anfreundet“, aus dem Amerikanischen von Anna Cramer-Klett, Diogenes, 40 Seiten 18 Euro (empfohlenes Alter: 4-7 Jahre)

Der amerikanische Bilderbuchkünstler Peter Sís feierte im Mai 2019 seinen 70. Geburtstag, und „Robinson“ ist ein Geschenk, das er sich selbst gemacht hat, in Erinnerung an seine Prager Kindheit. Damals verkleidete er sich für einen Kostümwettbewerb als Held von Daniel Defoes berühmtester Geschichte, und wurde von seinen Spielkameraden, die alle als Piraten kamen, ausgelacht. „Ich ging nach Hause, fühlte mich wirklich krank und las mich durch meine Abenteuerbücher. (…) Etwa drei Wochen ging ich nicht zur Schule“, erzählte er vor wenigen Monaten im Deutschlandfunk (hier). Diese Erinnerung ist Ausgangsmoment seines „Robinson“-Buchs, in dem sich der Junge nach der Schmach wegträumt, seine eigene Robinsonade erlebt, auf einer einsamen Insel strandet – und am Ende des Bilderbuchs zurückfindet zu seinen Freunden. / Peter Sís: „Robinson“, übersetzt von Brigitte Jakobeit, Gerstenberg, 48 Seiten, 16,95 Euro.

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