Der Übermensch erscheint im Anthropozän

Dass es dieser Roman nicht einmal auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2014 geschafft hat ist ein Jammer – so bleibt nicht viel mehr, als Markus Orths zu interviewen (hier im Blog), an allen erdenklichen Stellen „Alpha & Omega“ hochzuhalten (zum Beispiel hier in 1LIVE Plan B mit Moderator Ingo Schmoll) und eben so viel Geduld wie der Autor aufzubringen. Bestes setzt sich durch. Am Ende gewinnt: Das Gute. Jedenfalls im Roman.

Die Welt steht vor der Apokalypse. Aber Boulevardsender Pro7 verhindert beinahe die Abwendung des Jüngsten Tags im Welten sprengenden Roman „Alpha & Omega“ des mehrfach ausgezeichneten Schriftstellers Markus Orths. Da taucht am 1.1.2000 wie aus dem Nichts ein schwarzes, haarloses Babymädchen auf, das übersinnliche Fähigkeiten hat, das auserkoren ist, ein knappes Vierteljahrhundert später die Menschheit zu retten, das als Teenager bemerkt, dass es schweben kann – und was macht dieses Mädchen daraus? Sie trainiert für „Germany’s Next Topmodel“, will ausgerechnet Juror Thomas Rath beeindrucken, bis er hyperventilierend ausruft: „ach Gott, Schatz, du bist so wunderschön, ich bin ja hingerissen, von Anfang an, so gravitätisch, so symmetrisch wie du läufst, schwebst, als werde die Gravitation aufgehoben, deine Ausstrahlung, dein Strahlen, diese Sphäre, diese Kraft, diese Energie.“ Dass die krawallige Castingshow von Heidi Klum direkt in den Abgrund führt ist nur eine von etlichen Absurditäten, mit denen „Alpha & Omega“ die Gegenwart in eine zum Teil sehr ferne Zukunft verlängert.

orths_alpha_72dpiAlles fängt damit an, dass Elias Zimmermann im Jahr 2525 von der Bibliotheksmaschine Jimmy erfährt dass in „vierundzwanzig herkömmlichen Tageseinheiten plus siebzehn Stunden, siebenunddreißig Minuten und – jetzt noch – acht Sekunden“ die Welt untergehen wird und mit ihr alle wunderbaren Erfindungen: Zeitreisen, Kaminhologramme, die domestizierten weißen Löcher. Ein Meteroit steuert auf die Erde zu, wogegen selbst die 3.0-Version des Homo sapiens nichts ausrichten kann, aller Evolutionsbemühungen zum Trotz. Denn mit der Zeit haben sich die menschlichen Hirnhälften geviertelt und mit dieser Vierteilung sind neue Fähigkeiten entstanden, von denen das Gedankenlesen nur eine der weniger merkwürdigen ist.  All das kann ein riesiger Himmelkörper binnen Pikosekunden auslöschen. Was die Menschheit braucht ist demnach ein Wunder wie jenes vor über 500 Jahren, als die Welt schon einmal am Abgrund stand (drei Jahre nachdem Deutschland die USA beim WM-Endspiel 2018 mit 6.0 besiegt hat).

Damals wurde die Welt von einem übersinnlichen, schwarzen, haarlosen Victoria Secret’s-Engel gerettet, der kurz vor Knapp seine Modelkarriere hintenangestellt hat, um alle vorm Nichts zu bewahren. Elias soll in der Zeit zurückreisen, um diesen Engel zu bitten, im Sinne der Menschheit erneut tätig zu werden. Die Bibliotheksmaschine, die Elias hier anstachelt hat einen profaneren Grund. Jimmy will seine Bücher retten, „rechteckige Gebilde, die, in harte oder lasche Einbände gefasst, entweder harte oder lasche Gedanken ihrer Verfasser zu irgendwelchen Themen oder aber allerhand Geschichten beherbergen und die von den Menschen jener weit, weit zurückliegenden Epoche, in die ich reiste, konsumiert, sprich, gelesen wurden.“ Also reist Elias in die Vergangenheit, was nur deshalb funktioniert, weil er sich nicht körperlich, sondern nur mit seinem Bewusstsein aufmacht, Weltenretterin Omega Sybille Zacharias einen Besuch abzustatten. Die ist, wie gesagt, erst einmal sehr klein und liegt plötzlich im Krankenhaus, ohne Eltern, ohne Hinweisschild, ausgestattet mit einem unbändigen Durst, den sie an der Brust von Birte „Bitch“ Zacharias stillt, die gerade ihren ersten Sohn Ferdinand zur Welt gebracht hat. Bitch und Ehemann Kolja nehmen sich dem kleinen Kind an, taufen es Sybille und beschließen, weil Kolja ein wenig durchgeknallt ist, ihre zweieiigen Zwillinge von nun an Alpha und Omega zu nennen, Anfang und Ende also. So weit. So gut.

Elias ist unsichtbar bei dieser Familie und weil bei Bewusstseinsreisen in die Vergangenheit Zeit keine Rolle spielt, lernt er staunend die Welt unserer bizarren Gegenwart kennen. Der Roman nutzt diesen weiten Sprung von der fernen Zukunft in die nahe Vergangenheit der heutigen Gegenwart, um ein atemraubendes Personal aufzufahren, wie den (tatsächlich lebenden) Aktionskünstler Schamp mit seinen Buh-Tüten, dem innen kompletten hohlen Hund Escher, dem reichsten Menschen der Welt, der sich selbst Buzz Monster nennt und mit der Finanzierung eines schwarzen Lochs die Apokalypse heraufbeschwören will, mit dem schwulen Buddhisten Tashi Tengrit, der einen neuen Dalai Lama ausfindig machen soll. Es ist also ein bisschen wie in Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“, wo ellenlang beschrieben wird, wie peinlich die Menschheit geworden ist, um anschließend einen Grund zu haben, mittels Gentechnik ein Update-Modell durchzusetzen, das man ganz nietzeanisch als „Übermensch“ bezeichnen kann. Der „Übermensch“, der bei Markus Orths im Anthropozän erscheint ist, so viel kann verraten werden, mitfühlsam, weise, friedfertig.

Doch bis es so weit ist müssen 525 Seiten lang Teilchenbeschleuniger manipuliert, Heideggers „Philosophie der Existenz“ durch die Gaga-„Philosophie der Exkremenz“ ersetzt und nur deshalb ein Blindenelch durch den Plot geschickt werden, damit es absichtlich albern heißt. „Möge dieser Elch an mit vorübergehen.“ Auf seiner Homepage stellt Markus Orths „zur Orientierung“ umfangreiches Hintergrundmaterial bereit, das von dunkler Materie über „Gusto Winters Gestammelte Schriften“ bis zum 25 Millionen Dollar teuren Phantasy-Bra führt. „Apha & Omega“ ist ein mitreissender, smart erzählter Klotz, für den man Hegel gelesen haben kann, um hier und da einmal mehr zu schmunzeln – der aber ebenso gut ohne „Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Die objektive Logik. Zweites Kapitel. Das Daseyn. B Die Endlichkeit. c Die Endlichkeit. β Die Schranke und das Sollen“ auskommt, vielleicht vergleichbar mit dem Kinoblockbuster „Matrix“, der mit und ohne Baudrillard mitreissend unterhält. Vor den Wachowski-Geschwistern muss sich „Alpha & Omega“ jedenfalls nicht verstecken.

Markus Orths: „Alpha & Omega“, Schöffling, 528 Seiten, 24,95 Euro

Beitragsbild „User-FastFission-brain“. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.

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