Das Buch als Ort der Freiheit

Am heutigen Abend wird die 71. Frankfurter Buchmesse feierlich eröffnet. Und da das diesjährige Gastland Norwegen ist, wird unter anderem die bekennende Literaturliebhaberin Kronprinzessin Mette-Marit sprechen, die zugleich Herausgeberin ist der zur Buchmesse erscheinenden Anthologie „Heimatland“, in der zwölf Autorinnen und Autoren der Frage nachgehen, was es heute ganz aktuell bedeutet, norwegisch zu sein.

So viel steht fest: es wird – wie in den vergangenen Jahren auch – eine hochpolitische Messe werden. Das zeigte sich bereits gestern bei der Verleihung zum Deutschen Buchpreis an Saša Stanišić (für sein unbedingt empfehlenswertes Buch „Herkunft“) und am heutigen Vormittag bei der Eröffnungs-Pressekonferenz, bei der auch die Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk gesprochen hat.

Saša Stanišić sagte am gestrigen Abend vor dem Festpublikum im Frankfurter Römer, er hätte Glück gehabt, „dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Dass ich hier heute vor ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat, und die in seine Texte der 90er Jahre hineinreicht. Und das ist komisch, finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.“

Passend zu der Debatte um die diesjährige Literatur-Nobelpreisvergabe an Peter Handke sendet der Deutschlandfunk am kommenden Samstag ab 17:05 eine Streitkultur zu dem Thema „Braucht Literatur political correctness?“ Gäste sind: Christian Metz (Pro) und Jochen Hörisch (Contra).

Am heutigen Vormittag zeigte sich die Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk wiederum besorgt über den Sieg der Nationalkonservativen bei der Parlamentswahl in Polen am Sonntag. Ihrer Befürchtung nach seien vor allem Theater und Museen bedroht, da diese mehrheitlich von der öffentlichen Hand finanziert werden.

Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz sprach auch Heinrich Riethmüller, der Vorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei seinem letzten großen Branchenauftritt – kommende Woche wird er in seiner Position abgelöst von der Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs. Rietmüller, sichtlich erfreut, vermeldete für die ersten neun Monate dieses Jahres ein Umsatzplus von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ausschlaggebend sind hierfür neben veränderten Verkaufskonzepten zwei Sachbuchbereiche, die unsere gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten abbilden. In der Sparte „Natur und Technik“ – wir denken sofort an „Fridays for Future“ lag die Steigerung bei 26 Prozent, und in der Sparte Politik + Wirtschaft bei beeindruckenden 18 Prozent.

Das Buch als Vertiefungs- und Entschleunigungsmedium ist weiterhin das größte Gegengewicht zu allen oberflächlich-überhitzen Diskursen, wie sie zum Beispiel in den weniger schönen Ecken des Internets geführt werden. Gerade vor dem Hintergrund der ebenfalls heute veröffentlichten Shell-Studie, die der hiesigen Jugend eine beängstigende Empfänglichkeit für populistische Parolen bescheinigt. Das ist das Eine.

Großes Thema auf dieser 71. Frankfurter Buchmesse bleibt die Digitalisierung, was gewürdigt wird unter anderem mit einer Konferenz zu neuen Technologien wie Künstliche Intelligenz und Big Data Analytics, also der Verarbeitung beispielsweise von Leserdaten, die bei E-Book-Nutzern erhoben werden können. Auf diese beiden Felder beziehend sprach bei der Eröffnungs-Pressekonferenz Francis Gurry, der aktuelle Generaldirektor der Organisation für geistiges Eigentum.

Er betonte, dass es in der Zukunft möglicherweise auch Künstliche Intelligenz in der Lage ist, Bücher zu schreiben – zugleich erinnerte er an die singuläre Bedeutung menschlicher Autorschaft, und das ist nur logisch: um noch einmal mit der Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk zu sprechen: Die Literatur ist ein Ort der Freiheit, auch im gegenwärtigen Polen mit dem Regierungsmandat der rechten PiS-Partei. Schriftsteller, sagte Tokarczuk, brauchen nämlich nur einen Stift und Papier, um sich mitzuteilen, und Verlage sind nachwievor nicht in staatlicher, sondern in öffentlicher Hand.

Das Konsumverhalten von Buchlesern lässt sich selbst mit Big Data nicht ermitteln. Somit bleibt das Buch auch im digitalen Jahr 2019 ein Ort der Freiheit, ein Ort, an dem der Mensch als Mensch weiterhin seinen Eigenwert besitzt – in all seiner Widersprüchlichkeit.

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