Rezension: Ein Billyregal mit Seekühen

Der Gewinner des „Ungewöhnlichsten Buchtitels“ steht fest – es ist Volker Strübing (den ich seit Jahren hier und hier und hier abfeiere). Der Titel: „Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr und der Junge mit dem Löffel im Hals.“ Darin gibt es: Das Märchen vom Flaschenputtel, iphone-Priester, Facebook-Terroristen und nach Internetporn gierende Untertanen: Volker Strübing greift in seinem neuen Geschichtenband tief in den Unrat unserer Zeit. Platz 2 ging übrigens an The Oatmeals‘ „Woran du erkennst, dass deine Katze deinen Tod plant„, Platz 3 an meinen Wuppertaler Kollegen Patrick Salmen und Quichotte für „Du kannst alles schaffen, wovon du träumst – Es sei denn, es ist zu schwierig„.

Als Volker Strübing wieder einmal des nachts einen Flugzeugabsturz erlebte, glaubte er sich für einen kurzen Augenblick im Alptraum: „Doch dann trieb Spongebob Schwammkopf an einer Traube Diddle-Maus-Ballons hängend an mir vorbei, und mir wurde klar, dass das alles viel zu realistisch für einen Traum war.“ In diesem Geschichtenband darf die Welt endlich so wahnsinnig sein, wie sie uns allen vorkommt – und Volker Strübing reagiert auf diesen Wahnsinn auf überraschende, für das Jahr 2013 unwahrscheinliche Weise: ohne Zynismus.

struebing_stefanielamm_gEr dreht das moderne Leben ein kleines Stückchen weiter. Heraus kommen groteske Erlebnisse, wie jenes mit den beiden „Gottesdienstleistern“. Erst predigen in seiner Küche, das Internet sei „Gott 2.0“, ein riesiges Gehirn, das die Menschheit unbewussterweise geschaffen hat. Dann geben sich die beiden als Wandermormonen für MobilfunkFreaks zu erkennen: „Wir kommen von der Telekom, haben wir das nicht erzählt? Ein neues Marketingkonzept. Wir sind ein sehr gottesfürchtiges Unternehmen und stellen sozusagen die Nervenbahnen bereit. Laut unseren Unterlagen haben Sie noch keinen Vertrag für mobiles Internet.“

So weit sind derartige Nötigungen nicht vom Pop-Up-Spam entfernt, der allen Surfer ohne Adblocker täglich übers BrowserFenster rauscht. „Ich schloss Facebook, rief meine liebste Bastel-Website auf und arbeitete den Rest des Tages weiter an meiner Atombombe.“ Wer sich auf diese Weise gebärdet, wünscht sich zum Geburtstag auch ein Seekuh-Aquarium, das er im Billyregal verstauen will. „Ich mag Seekühe.“ Wird dieser von Absurdität zu Absurdität tapsende Volker zum Babysitting abgestellt, wundert es niemanden mehr (man ist inzwischen auf Seite 43), dass den Kindern vorgeschlagen wird, ein besonders schönes Holocaustmahnmal zu basteln. „Wer nachher das schönste Holocaustmahnmal hat, darf die ganze nächste Woche bis zehn Uhr aufbleiben.“

Diese Geschichten finden ihre Entsprechung in der Realität. Das echte Holocaustdenkmal in Berlin wird vor allem wegen seines Designs gelobt, für Modefotoshootings benutzt, als „place to be“ eines jeden Hauptstadtreisenden vermarktet. Dass im Internet Aufklärung und Kriminalität zusammenkommen, also jeder dank exakter Anleitungen zum Unabomber mutieren kann, wird nicht nur in konservativen Politikerkreisen behauptet. Um den angeblich religionsartigen Applekult schreiben selbst die seriösen Nachrichtenmagazine.

Aber das Internet, die Bombengefahr, die iphone-Jünger und Billyregalfetischisten, das sind wir selbst, in unserer Gier. Sehr schön zeigt das Volker Strübings Kunstmärchen vom lieben König und dem gierigen Volk, das von ihrem Souverän mehr und mehr und mehr verlangt. Anfangs lenkt der liebe König ein, sorgt für eine funktionierende Gesundheitsversorgung, für Spielplätze, Renten, Autobahnen. „Am nächsten Tag jedoch stand das Volk wieder vor dem Schloss und brüllte aus all seinen Kehlen. Es wollte noch mehr Fernsehsender, und diese sollten nur Schmutz und Unrat senden, denn etwas anderes interessierte das Monster nicht! ‚Und Internet wollen wir auch! Mit Pornos drin.'“

2013-voland_quist-hawaiif3-struebing-das_maedchen_mit_dem_rohr-web_2dSo ruft der König einen Drachentöter, um das „Monster“ Volk zu zähmen. – Nach diesem Band möchte man Volker Strübing mit irgendetwas ehren (haben 2013 schon andere getan – er ist erster Stadtschreiber von Bayreuth) oder ihm eine eigene Sendung geben (ok, die gab er sich mit den „Kloß + Spinne“-Videos selbst), oder wenigstens auf andere Weise glücklich machen. Track 11 der beigelegten CD gibt darf übrigens erste Tipps: „Schriftsteller – Wie man sie rumkriegt und was man unbedingt beachten sollte.“ Manche Dinge sind dann doch hoffentlich nur ein Traum.

Volker Strübing: „Das Mädchen mit dem Rohr im Ohr, Voland & Quist, 144 Seiten + 1CD, 14,90 Euro

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2 Kommentare

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  2. […] eigener Sache: Im Blog gibt es neue Texte über Volker Strübing, Gewinner des Preises für den ungewöhnlichsten Buchtitel 2013, noch mehr von Jo Lendle, etwas […]

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