Rezension: Der apokalyptische Schreiber

Quadrupelhirne, Bibliotheksmaschinen, Zeitreisen und „Buzz Monster, der reichste Mensch der Welt“ – Der neue Roman von Markus Orths ist der härteste Ritt durchs Hirn im Bücherherbst 2014. Ein Interview.

2525: Ein Meteorit steuert auf die Erde zu, der binnen Pikosekunden die gesamte Menschheit auslöschen wird. Es braucht ein Wunder, um das in zirka drei Wochen drohende Unheil abzuwenden – mindestens eines wie vor über 500 Jahren, als die Welt schon einmal am Abgrund stand (drei Jahre nachdem Deutschland die USA beim WM-Endspiel 2018 mit 6.:0 besiegt hat). So reist Romanheld Elias in die Vergangenheit zum Victoria’s Secrets-Engel Omega, die ihm beistehen soll. Allerdings platzt er nicht mitten in ihre Modelkarriere, sondern sieht sich im Krankenhaus wieder, wo ein kleines Baby ohne Eltern, ohne Hinweisschild, ausgestattet mit einem unbändigen Durst, daliegt. Ungünstig für ihn. Günstig für die Geschichte, die nun vom Anfang bis zum Ende erzählt wird: Wie Bitch und Ehemann Kolja das kleine Mädchen aufnehmen und sie gemeinsam mit ihrem zeitgleich geborenen Sohn Ferdinand aufwachsen lassen. Wie sie ihre zweieiigen Zwillinge von nun an Alpha und Omega nennen, Anfang und Ende also. Wie sie nicht einmal ahnen, dass ein unsichtbarer Dritter mit in Bunde ist – Elias, der wie der Heilige Geist um das Leben von Alpha & Omega schwebt, auf den richtigen Moment wartend, sich bemerkbar zu machen.

Elias ist unsichtbar, weil er lediglich im Bewusstsein zurückgereist ist und begegnet nun dem (tatsächlich lebenden) Aktionskünstler Schamp mit seinen Buh-Tüten, dem innen kompletten hohlen Hund Escher, dem reichsten Menschen der Welt, der sich selbst Buzz Monster nennt, den schwulen Buddhisten Tashi Tengrit. „Möge dieser Elch an mit vorübergehen.“ Das denkt eine Figur irgendwann wild kalauernd, kopfschüttelnd, vermutlich selbst irritiert vom Irrwitz dieses absolut grandios unterhaltsamen Romans. Doch zwischen Bibel- und Hegelanspielungen bleiben offene Fragen.

Markus Orths, beginnen wir gleich biblisch. Ist die künstliche Befruchtung eine „unbefleckte Empfängnis“ und hat dann Lewitscharoff Recht, wenn sie davon spricht, wir spielten Gott? Nein. Ich habe an dieses Thema ehrlich gesagt gar nicht gedacht beim Schreiben. (Lewitscharoff hat leider in sehr wenigen Dingen Recht in meinen Augen, was diese Rede betrifft.) Für mich stand hier etwas anderes im Fokus: „Unbefleckte Empfängnis“ bedeutet im Katholizismus, dass Maria ohne Sünde zur Welt gekommen ist. Kolja, der Stiefvater Omegas versteht es falsch und denkt: „unbefleckt = ohne Sex“. Und daher ist für ihn Sex = Fleck (Schmutz).

Orths_Markus_honorarfreiKolja hat sich wie viele Figuren im Roman weit von der Natur entfernt… Er muss in seinem Leben  lernen, dass Sex etwas Wunderbares, Schönes, Herrliches ist (sein kann!), etwas, das nichts mit Schmutz zu tun hat. Ich habe in dem Roman ja viele Fässer aufgemacht, aber das mit der künstlichen Befruchtung ist ein ganz neues Thema, das ich gar nicht im Kopf und Sinn hatte.

Geht es dennoch auch darum, wie wir Anfang und Ende  (Alpha & Omega) des Lebens designen? Nein. Nicht im Sinne der Technik (Lebensverlängerung) und künstlichen Befruchtung. Eher (in der Figur des Kolja) existenziell, also wie wir damit umgehen, dass wir „ungefragt“ in die Welt gekommen sind und dieses Leben zu übernehmen haben und zumeist auch „ungefragt“ wieder abberufen werden.

Welches Verhältnis hast Du zu Heidegger? Ich habe Heideggers frühe Philosophie immer bewundert, sie war in meinem Leben sehr wichtig und hat mich zu tiefen Einsichten geführt. Großen Teilen Dder späten Philosophie stand ich dagegen immer sehr skeptisch gegenüber (einerseits das vollkommen Kryptische, andererseits auch, was eine mögliche Nähe zum Nationalsozialismus betrifft. In den „Beiträgen zur Philosophie“ (entstanden ab 1936) fand ich schon dieses elitäre Gerede über die Auserwählten, die „Wenigen“ abstoßend).

Er wirkt wie einer Deiner Hausgelehrten. Heidegger kommt aber oft in meinen Büchern vor. In „Hirngespinste“ wurde seine Spätphilosophie bereits satirisch in den Blick genommen, hier im neuen Buch gibt es natürlich die „Philosophie der Exkremenz“, die Parodie auf eine (u.a.) Heideggersche „Philosophie der Existenz“. In beiden geht es um das Ende des Lebens und um den Blick auf das Ende: von der Art und Weise dieses Blicks her ist es abhängig, wie wir den Anfang sehen und gestalten, bzw. die Zeit vom Anfang bis zum Ende, die uns gegeben ist. Obwohl (der frühe) Heidegger für mich sehr wichtig ist, ebenso wie Kunst und Literatur, ist es für mich unabdingbar, auch diesen eigenen (philosophischen und literarischen Standpunkt) zu unterminieren bzw. stets und ständig in Frage zu stellen (wie hier in den Figuren Gusto und Schamp).

Wieso kommt diese Ironie, die Kalauer („möge dieser Elch an mir vorübergehen“), diese doch sehr unernsten Späße? Das Buch ist für mich nicht nur ein „grotesker Spaß“, sondern letztlich ein Buch über die Wichtigkeit der Selbst-Ironie und Selbst-Distanz als unumgängliche Pfeiler der Kommunikation mit anderen und für die stete Infragstellung der eigenen Position. Der größte Teil unserer Probleme in der Welt, der größte Teil dieses „Barbarismus“, in dem wir leben, entsteht in meinen Augen durch mangelnde Selbst-Distanz. Jedweder Form des Fundamentalismus ist Selbst-Ironie z.B. völlig fern. Also um es auf einen Nenner zu bringen: Die Absolutsetzung eines Standpunkts, der „Tiefe und Heilige Ernst“ (ob in Wissenschaft, Religion, Kunst, Philosophie oder Esoterik) wird kritisiert, karikiert, parodiert, und ihm gegenüber stelle ich u.a. das Gegenteil, nämlich den „Flachen und Platten Kalauer“. (Und das bewusst, obwohl ich beim Schreiben förmlich das „Hochfeuilleton“ angewidert zusammenzucken sah, denn ein Kalauer gilt ja als nicht salonfähig, völlig zu Unrecht, wie ich finde.)

Und dann kommt auch noch Gott… Ich habe manchmal versucht, die gängigen Bilder umzukehren: Wenn das allgemein-naive christliche Gottesbild der „alte weiße Mann mit langem Bart“ ist, so war eben meine „Überwindung“ des alten Gottesbildes eine etwas andere „Erlöserin“, nämlich das Gegenteil, eine junge, schwarze Frau ohne jedes Haar: Omega Zacharias. Und wenn der Papst betet, ein Engel des Herrn möge uns retten, so muss es für mich zwangsläufig der „Victoria’s Secret Engel“ sein, ein perfektes Topmodel. Warum? Weil so der altehrwürdige, tiefe Glaube an einen wirklich existenten göttlichen Engel konterkariert und dadurch aufgehoben wird durch ein Symbol des aktuellen Zeitgeistes der oberflächlichen Äußerlichkeit.

GNTM vs. evangelikales Denken? Dahinter steckt ein Infragestellen beider Haltungen. Einerseits des oberflächlichen Topmodel-Bewertungs-Leistungs-und-Jury-Wahnsinns, in dem wir leben; andererseits aber auch das, wozu ein „Engel“- oder „Heiliger-Geist-Glaube“ bei Fundamentalisten letztlich führen kann: z.B. die psychische Vergewaltigung von kleinen Kindern, derer sich Teile der Evangelikalen ungestraft schuldig machen, wenn sie jene Kinder in „Jesus-Camps“ das Mit-Zungen-sprechen beibringen. Der sich so manifestierende Glaube an Engel und an den Heiligen Geist ist in meinen Augen ein ungeheures Verbrechen an diesen Kindern. Und es ist für mich ein Skandal, dass die „gemäßigten Christen“ nicht alles in die Waagschale werfen, solcherlei Fundamentalismus in den „eigenen Reihen“ zu bekämpfen. Etc. (Aber nochmal zurück zu Heidegger: Jetzt, nach den Schwarzen Heften, muss ich allerdings noch einmal völlig neu über ihn nachdenken.)

In „Alpha & Omega“ gibt es eine Robinsonade, was auch deshalb interessant ist, weil Lutz Seiler bald seinen Roman „Kruso“ vorstellen wird. Aber wieso gibt es diese Reise, die einsame Insel (neben den Zeit- und Bewusstseinsreisen) auch noch?  Das hat erst einmal dramaturgische Gründe: Die Omegas Eltern mussten mal für eine Zeitlang verschwinden. Ausserdem liebe ich Robinsonaden, mag den Film Cast Away und wollte ihn unbedingt zitieren. Dann musste „Der Schamp“ irgendwie als „Retter“ ins Spiel kommen. Das geschieht ( in Form seiner Mobilienhai-Performance, durch die er die Flaschenpost findet. Und es gibt Raum für eine Reihe lustiger (Analsexspielzeug) und mir wichtiger Szenen, z.B. die (neuromücktoplastisch-neuromykoplasmische Reise), die Reise von Elias Zimmermann als „Neuromücke“ ins Hirn von Kolja Zacharias, eine Reise, bei der Elias Schuld auf sich lädt und (paradoxerweise) jener Hirntumor erst entsteht, der Koljas Ende bedeutet.

Wie kommt der Zeitreisende Elias ebenfalls dorthin? Wandert er tatsächlich durch die Gehirne und Bewusstseine der Figuren? Für mich „kriecht“ Elias tatsächlich in Koljas „Bewusstsein“ und in seinen „Körper“. Das war von Anfang an eine mir sehr wichtige Idee. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Der wichtigste Grund kommt erst auf den letzten 40 Seiten: Auf diese Art und Weise, als innerer beobachtender „Bewohner“ von Kolja, kann Elias mit Kolja und „durch dessen Augen“ und in ihm („durch ihn und mit ihm und in ihm“) den Tod „durchleben“, ohne selber zu sterben, weshalb er zu einer Art Gottesfigur wird und der Roman auch mit diesem Satz beginnt: „Eigentlich bin ich Gott.“. Daneben gibt es natürlich das psychologische Momentum der Fremdbestimmung, das wir alle kennen: Da sitzt jemand im Ohr und bestimmt über das, was ich tue. Außerdem ist Elias für mich auch die Karikatur eines „Allwissenden Ich-Erzählers“: Er weiß alles, kann in alle Köpfe schauen, hält Informationen zurück. Das ist aber eher ein nebensächlicher Punkt, eine Spielerei.

Elias/Book of Elah – gibt es da Parallelen? Elias (der Prophet), Zimmermann (der Beruf Jesu) und Eli (Gott) haben da „Pate“ gestanden. Das Buch Elias habe ich aber nicht eigens gelesen für den Roman. War eher eine Namens-Anspielungs-Sache.

Warum überlebt Elias die Zeitreise, die anderen aber nie? Weil er im Unterschied zu den vor ihm Gereisten ein „Quadrupelhirn“ ist, also jemand, der die Gedanken anderer hören kann und über viele andere Gehirn-Qualitäten verfügt. Die Zeitreise-Instrumente (Kalladabs-Oboren) sind im Jahr 2525 total veraltet, über 200 Jahre alt. In Den 200 Jahren vorher sind dDiese Form der Zeitreisen ist längst in Vergessenheit geraten. Zugleich aber kam es in diesen den 200 Jahren vorher irgendwann zum evolutionären Sprung zu den Quardupelhirnen. Die vieles andere mehr können als die vorherigen „Tripelhirne“. U.a. kann sich Elias von der „Einsamkeitskrankheit“ freimachen, die die anderen (Tripelhirn-)Zeitreisenden befiel. Deshalb stirbt er nicht. Und was die Zeitreise-Elemente betrifft: Letztendlich ist da sehr viel „gesetzt“. Das komplette Zum Thema der Zeitreise, da habe ich zwar viel zu gelesen, aber im Grunde habe ich diese die technischen Details habe ich natürlich komplett erfunden.

Um Merkwürdigkeiten geht es in vielen Deiner Bücher. Wie ordnet sich „Alpha & Omega“ in dieses Kompendium der Seltsamkeiten ein? Im Grunde ist „Alpha & Omega“ (neben all dem anderen) vom Werk her gesehen der dritte Teil einer „Unsichtbarkeitstrilogie“.: Teil 1 war „Das Zimmermädchen“: Der reale Mensch ist anwesend (unterm Bett versteckt), nur nicht zu sehen. Teil 2 war „Die Tarnkappe“: Der Mensch kann durch die Tarnkappe wirklich unsichtbar werden, die anderen können ihn aber immer noch hören und berühren, nur nicht mehr sehen. Teil 3 ist dann „Alpha & Omega“: Der Mensch ist durch die Verkleinerung und die Bewusstseins-Zeitreise unsichtbar und unberührbar und unhörbar für andere (außer in dieser kurzen Zeit als „Bewohner“ in von Kolja , wo er sich Kolja als innere Stimme verständlich machen kann, und am Schluss, wenn die von den Toten auferstandene Omega Elias sehen und hören kann).

Ist die Trilogie damit abgeschlossen – oder gibt es 2015 neue Merkwürdigkeiten von Markus Orths? Die Unsichtbarkeits-Trilogie ist abgeschlossen. Mehr als unsichtbar und unhörbar und unberührbar zugleich geht ja nicht mehr. Aber ich hatte im Roman den Erzähler ja versprechen lassen, eine Fortsetzung von „Alpha & Omega“ zu schreiben mit dem Titel „Die Teuflische Komödie“. Dazu gibt es eine Idee. Natürlich angelehnt an Dantes „Göttliche Komödie“. Das hätte dann aber nichts mehr mit Unsichtbarkeit zu tun, wäre eine völlig neue Geschichte, losgelöst von „Alpha & Omega“, lediglich Elias Zimmermann bliebe noch übrig, der Erzähler und sein Tonfall. Und es geht um seine Abenteuer im „Schwarzen Loch“. Und da kann ja – wie man gesehen hat – letztlich alles Mögliche geschehen … Mal schauen, wie sich das entwickelt. Ich hätte große Lust dazu. Irgendwie bin ich noch immer im „Alpha-&-Omega“-Modus. Alle anderen Bücher waren für mich abgeschlossen, als ich sie gedruckt in Händen hielt, dieses hier irgendwie noch längst nicht.

Markus Orths: „Alpha & Omega“, Schöffling, 528 Seiten, 24,95 Euro / Autorenfoto: Olaf Kutzmutz.

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1 Kommentar

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