3000 Jahre Untergang des Abendlandes

Dass dem Massenmenschen unserer Tage jede Form von Sittlichkeit abgeht, bemängelte der spanische Philosoph Ortega y Gasset bereits Anfang der 1930er Jahre. Er forderte einen radikalen Triebverzicht – wurde aber 25 Jahre ausgerechnet von Wim Thoelke bei einer Orgie mit drei Damen erwischt. – Der große Mahner des Abendland-Untergangs ermahnte nur sich selbst nicht allzu stark.

Das ist ein typisches Phänomen, das Gerhard Henschel in seiner unterhaltsamen Studie über 3000 Jahre zurückverfolgen kann. „Früher war alles besser.“ Stimmt diese Phrase, überhaupt? Tatsächlich, so belegt es Henschel, wurde immer wider das Gleiche bemängelt. Zu viel Sex und Frivolität bemerkte bislang noch nahezu jeder Prophet der nahenden Apokalypse. Die Steinzeitmenschen, die waren monogam. Danach wurde es für jeden Konservativen deutlich zu bunt. Neben fehlender Triebzucht wurden für den immer neu drohenden Untergang des Abendlandes wahlweise haftbar gemacht: „Sozialdemokratie, Bolschewismus, Warenhäuser, Frauenwahlrecht, Pferderennen, Kintopp, Illustrierte, Jazz“, Rock‘n‘Roll, die technisch-materialistische Einheitszivilisation, amerikanische Comics, Rassenvermischungen, Cowboyfilme, allgemeine Gottesferne und natürlich Romane.

Denn wie bemerkte Ernst Moritz Arndt schon im Jahre 1805: „Als die Töchter kein anderes Buch als die Bibel lasen, da war noch eine schöne Zeit; jetzt bei der Romanleserei werden sie nur verrückt, weder klüger noch besser.“ Bemerkenswert bleibt, dass alle Propheten überraschend gut über die von ihnen sezierten Lastern unterrichtet sind und von diesen auch mächtig beeindruckt scheinen, „in der Manier jener Heiligen, die allen Begierden entsagen können außer der einen, sie zu verfluchen.“

Weil es sich im schönen Umfeld am besten vom Untergang schwärmen lässt, kommt dieser Band selbstverständlich in (dekadenter) Luxusausstattung, mit Farbschnitt, Fadenbindung und Lesebändchen, gesetzt in der edlen Schrifttype „Fairfield“. Die durchnummerierten, limitierten Vorzugsausgaben stehen im Pappschuber und werden auf mattglänzendem Papier der Papierfabrik Schleipen gedruckt. Was kost‘ die Welt – lasst sie uns verjubeln.

(Gerhard Henschel: „Menetekel – 3000 Jahre Untergang des Abendlandes“, Eichborn: Die andere Bibliothek, 350 Seiten, 32 Euro)

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