Interview: Der älteste mit dem jüngsten Bundestagsabgeordneten

Früher gestalteten ältere Politiker die Lebenswelt junger Bundesbürger. Heute treffen relativ junge Abgeordnete Entscheidungen für überwiegend ältere Wähler. Was bedeutet das für politische Entscheidungen? Und wie geht die Politik in Zeiten von Twitter, Chats und SMS mit immer schnelleren Kommunikationsmitteln um? – Wir trafen den früheren Bundesforschungsminister Dr. Heinz Riesenhuber (Jahrgang 1935) und dem FDP-Abgeordneten Florian Bernschneider (Jahrgang 1986) zum Generationengespräch. (Das Beitragsbild zeigt Heinz Riesenhuber im Gespräch am Zaun des Bundeskanzleramtes in Bonn, 1995)

Wie hat sich die politische Landschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert? DR. HEINZ RIESENHUBER: Es gibt inzwischen die Hektik, die Gleichzeitigkeit, die Parallelität vom Vorgängen, ein „Häppchenweise-Denken“. Das Durchdenken in Systemen, in komplexen Zusammenhängen, das langsamere Herangehen, das zu stabilen Entscheidungen führt, gehört einer älteren Kultur an.

Herr Bernschneider, haben Sie im Blick, dass Sie als junger Kollege Politik für hauptsächlich ältere Menschen gestalten? FLORIAN BERNSCHNEIDER: Wenn ich junge Menschen vertrete, heißt das automatisch auch, die Älteren mit ins Boot zu nehmen: In der Generationen übergreifenden Frage nach den sozialen Sicherungssystemen habe ich gesehen: „Das kann so nicht weitergehen. Du wirst später vor enormen Herausforderungen stehen, wenn die Politik nicht nur ans nächste Wahlergebnis, sondern auch an zukünftige Generationen denkt.“

Wie reagieren die Bürger Ihres Wahlkreises auf Ihr jugendliches Alter? BERNSCHNEIDER: Es passiert selten, dass Menschen sagen, ich sei zu jung. Aber es passiert. Im Wahlkampf kamen Leute an den Stand und sagten: „Mensch, du hast überhaupt keine Lebenserfahrung!“ Aber die große Mehrheit, gerade der Älteren, sagt: „Wir freuen uns, dass frischer Wind reinkommt.“

Herr Riesenhuber, gibt es in Ihrem Wahlkreis Bürger, die fragen, ob Sie in den verdienten Ruhestand treten wollen? RIESENHUBER: Das behandeln wir dort höchst entspannt. Es gibt auch Bürger, die es prima finden, dass wir uns seit Jahrzehnten kennen, die mir ihre inzwischen auch schon erwachsenen Kinder vorstellen, und die mir im Übrigen prächtige Wahlergebnisse bescheren. Andererseits stellt meine Familie schon kritische Fragen. Aber meine Oma sagte immer: „Man soll der Gnade Gottes keine Grenzen setzen.“

Wie viele Enkel haben Sie inzwischen? RIESENHUBER: Zur Zeit sind es sieben. Aber zwei weitere sind unterwegs. Das heißt: Die ganze Geschichte ist in einem guten Beginnen. Ich habe vier Kinder. Davon sind erst drei verheiratet. Der eine ist strategische Reserve.

Glauben Sie, dass in 25 Jahren wesentlich mehr ältere Politiker im Bundestag sitzen? RIESENHUBER: In Amerika gibt es bereits heute Senatoren, die über 90 sind. Wenn Sie denen begegnen, wirken die nicht wie Tattergreise. Das sind durchaus kraftvolle Persönlichkeiten. Ich glaube, dass in Deutschland die Variationsbreite in jeder Hinsicht größer wird: Die Art des Lebensvollzugs, die Art des Berufswechsels, die Art der Partnerschaft, die Altersverteilung durch die verschiedenen Berufe, die Häufigkeit sich auf ganz unterschiedliche Verhältnisse einzulassen.

Herr Bernschneider, werden Sie in 25 Jahren Ihre politische Blüte erleben? BERNSCHNEIDER: 25 Jahre ist ein langer Zeitraum. Dass die Extreme zunehmen werden, glaube ich schon. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir wirklich sehr alte Parlamentarier haben. Manchmal glaube ich: Es fehlt heute schon. Man hat immer das Gefühl, der Bundestag sei alt. Aber bei den sehr Alten wird es dünn. Genauso bei den sehr Jungen. An beiden Ecken kann man etwas tun, wenn man die Bevölkerung tatsächlich repräsentativ abbilden will.

Herr Riesenhuber hat immer wieder Nobelpreisträger Dennis Gabor zitiert, der gesagt hat: „Wir können die Zukunft gar nicht vorhersagen, allenfalls erfinden.“ Herr Bernschneider, wo möchten Sie Zukunft erfinden? BERNSCHNEIDER: Gestatten Sie mir, das an aktuellen Geschehnissen festzumachen: Es ist gerade schon die Frage, ob wir uns dem Thema Fortschritt öffnen oder es eben nicht tun. Es ist die Diskussion der Enquete-Kommission, die wir auch politisch führen: Dämpfen wir ab, oder gehen wir mit der Zeit? Lassen wir auch neuen Technologien ihren Vorsprung? Sehen wir die Chance im Internet oder mehr die Gefahren?

Sehen Sie noch Chancen im Internet? RIESENHUBER: Als Bill Gates Mitte der Neunziger ein Buch mit dem Titel „Der Weg nach Vorn“ geschrieben hat, wollte er die Zukunft von IT beschreiben. Das Internet kam in der ersten Auflage des Buches nicht einmal vor. Hier zu prognostizieren ist beliebig spekulativ. Inzwischen drängt das Internet mit Macht in immer weitere Lebensbereiche ein. Meine Vermutung aber ist, dass das Interessanteste für die Menschen immer die Menschen sein werden, dass menschliche Beziehungen niemals durchs Internet ersetzt werden. Andererseits sind in Frankfurt zum Beispiel heute 60 Prozent Singlehaushalte. Das ist eine ziemlich gespenstische Sache. Was macht ein 65-jähriger Single? Gibt es niemanden mehr, der ihm nahe ist, kann das Internet als therapeutische Hilfe reizvoll sein.

Es gab 2007 eine Studie der Bertelsmann Stiftung, in der Menschen ab 34 Jahren nach ihrem Jugendbild gefragt wurden. Fast 40 Prozent trauten den Jugendlichen nicht zu, die künftigen gesellschaftlichen Herausforderungen meistern zu können. Herr Bernschneider, fühlen Sie ihre Generation treffend charakterisiert? BERNSCHNEIDER: Dass eine gewisse Skepsis gegenüber der jungen Generation herrscht, ist menschlich. Ich möchte das gar nicht immer ablehnen. Aber ich glaube, wir sind gut genug gerüstet.

Die Klagen über Zustand dieser zum Beispiel bei PISA versagenden, kaum ausbildungsfähigen Generation häufen sich. Warum sind wir dennoch gut genug aufgestellt? BERNSCHNEIDER: Gerade wenn es um den Umgang mit Technik geht, haben die jungen Leute von heute unheimlich viele Kompetenzen, die bei solchen Fragen nie eine Rolle spielen. Man orientiert sich an sehr klassischen Werten. Wenn man einmal in der Shell-Studie blättert, sieht man, dass die Jugend vernünftige Perspektiven hat und auch für sich selbst Verantwortung übernimmt.

War die Jugend früher besser gerüstet? RIESENHUBER: Ist jemand ausbildungsfähig, wenn er die Hauptschule verlassen hat? Da gibt es die üblichen Zahlen mit gewaltigen Schwankungen über die Bundesländer. Im Schnitt sind zehn Prozent nicht ausbildungsfähig, aber mit Schwankungen zwischen fünf und 20 Prozent. Das war früher wohl nicht anders. Wir müssen immer jedem helfen, so erfolgreich wie möglich zu sein. Wenn wir aber in allen Lebensbereichen Menschen finden, die Biss, Unternehmungsgeist und Gestaltungsfreude besitzen, dann kann die ganze Gesellschaft durchaus erfolgreich sein.

Über Zivil, Wehr- und Freiwilligendienst wird viel gestritten und man geht davon aus, dass bald Über-60-Jährige ein freiwilliges Soziales Jahr absolvieren werden. BERNSCHNEIDER: Ja, das wird kommen. Der Bundesfreiwilligendienst plant genau das, und es liegt am ganz normalen beruflichen Weg, dass es vor allem die Jugendlichen und dann die Älteren sein werden, die sich hier engagieren. Das wird bunt. Ich glaube, es tut Älteren an der einen oder anderen Stelle auch ganz gut. Der Ansturm auf Freiwilligen-Agenturen ist ja schon lange da. Es kommen immer mehr Ältere und sagen: „Ich fühl‘ mich fit, ich habe noch keine Lust, zuhause zu sitzen.“

Junge und Alte machen gemeinsam Freiwilligen-Dienste. Popkultur ist schon lange kein Teenagerphänomen mehr. Rücken die Generationen jetzt zusammen, in jeder Hinsicht? BERNSCHNEIDER: Das müssen sie auch, um die Herausforderungen zu meistern, die vor uns liegen. Und über Kultur ist diese Annäherung zweifelsohne da. Ich höre den gleichen Radiosender wie meine Mutter, und da liegen schon einige Jahre zwischen. Schwierig könnte es werden, vorhandene Strukturen so zu bündeln, dass Junge reinwachsen. Freiwillige Feuerwehr, Sportvereine… Da müssen wir feststellen, dass gerade Strukturen, die das Talent haben, Generationen zu verbinden, zu wenig von Jungen genutzt werden.

RIESENHUBER: Das Problem betrifft auch die politischen Parteien und alle Gewerkschaften. Die Zahl der jungen Leute, die sich auf so etwas einlassen, mit der Chance und dem Risiko, mal Verantwortung zu übernehmen, nimmt nicht stark zu. Damit besteht das Risiko, dass sich die einzelnen Communities immer mehr voneinander isolieren.

Wir haben aktuell sich ähnelnde Debatten: Der alte Feminismus einer Alice Schwarzer wird angegriffen. Wir debattieren über einen lang aufgebauten Sozialstaat, für den die Jungen nicht mehr bezahlen wollen. Herr Riesenhuber, gibt es Augenblicke, in denen Sie denken: „Die junge Generation verspielt das, was aufgebaut wurde“?

RIESENHUBER: Das ist eine Idee, die mir noch nicht gekommen ist. Mir war immer interessanter: Kenne ich in den unterschiedlichen Bereichen ein paar Leute, die nicht nur die nächsten Jahre unbeschädigt überstehen wollen, um sich dann zur Rente durchzurobben, sondern: Die haben Lust an Herausforderung, sind neugierig. Und solche Leute treffe ich heute immer wieder, genau wie vor 50 Jahren. Sie werden unsere Zukunft aufbauen.

In den Siebzigern ging es Deutschland gut. Die Sicherungssysteme waren exzellent. Es wurden immer neue Subventionen entdeckt, man denke nur an die Eigenheimzulage. Herr Bernschneider: Denken Sie manchmal, dass frühere Generationen auf Kosten der Ihrigen gelebt hat? BERNSCHNEIDER: Ich glaube das kann man nicht wegreden. Allein mit dem Schuldenberg wurde uns eine enorme Herausforderung hinterlassen. Aber von dem, was in Infrastruktur geflossen ist, habe ich heute auch noch etwas. Dennoch wurde oft einfach verprasst und mit der sozialen Gießkanne ausgeschüttet. Der Sozialstaat, der heute da ist, wird so auf Dauer nicht tragfähig sein. Die Älteren haben zu häufig an ihr nächstes Wahlergebnis und zu selten an junge Generationen gedacht. Das ist auch der Grund, warum ich bei aktuellen Umfragewerten für die FDP ruhig bleibe – weil ich genau den Fehler nicht machen will. Ich möchte für langfristige Politik stehen. Dass das nicht immer populär ist, ist klar – aber dann ist es eben so.

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