Lyrik/schwyrik: Über den Inhalt von modernen Gedichten zu schreiben ist nicht leicht. Denn wer auf der reinen discours-Ebene bleibt macht auch nichts Anderes als jene Popomusikrezensenten, die Tomte allein vom Text erklären wollen. Es ist ein Tasten, auch bei leicht zugänglichen Bänden, wie den hier unten vorgestellten. Romaninhalte können schnell in einen größeren Kontext gesetzt werden, während alles, was über Dissidentenlyrik, „Herz Vers Sagen“-Gedichte oder prototypisch für eine Epoche steht (Stichwort: „Die Blumen des Bösen“) hinausgeht die formale Analyse verlangt, den Blick zu anderen zeitgenössischen Diskursdichtern etc. pp. Daher ist auch hier auf LesenMitLinks jede Besprechung ein Fischen im Trüben. Versuche einer Einordnung.

518eFBumCVL._SY300_Der Rest ist Resonanz: Das lockt selbstverständlich, mit Titeln wie „schau mein fordern“, „zucker, zucker, lange hand“ und „picknick papers frühlingslektüre“. Rike Scheffler (Beitragsbild oben), Jahrgang 1985, Mitglied des Berliner Lyrikkollektivs G13, steigt ein mit dem Zitat von Lesbenikone Sappho (das ist verkürzt: sie war die wichtigste Lyrikerin des klassischen Altertums): „Some men say an army of horse and some men say an army in foot and some men say an army of ships is the most beautiful thing in the black earth. but i say, it is what you love.“ Danach, sechs Abteilungen mit jeweils 12 bis 5 Gedichten/Stücken, übertitelt wie folgt: 1 Angenommen Aber / 2 Geschenkt Madame / 3 Your Turn / 4 Nun zu den Regeln / 5 Whiskers, Schnee / 6 Tides, Loops. Ingesamt: 70 Seiten. 19,90 Euro. Es gibt Stücke, die wie Miniaturen mit Zeilenumbruch gelesen werden können: „angenommen, man lässt es sich gutgehen, ganze tage / am stück, dürftig getrennt durch die sich wendende sonne. angenommen, es gibt genug ansichten, sie sind schon da. / was zählt, ist nur die mischung, farbe auf holz aufzutragen (…)“. Danach, mit einem Zitat Ann Cottens einsteigend, wirken die Texte wie Notizen zum Dichten: „dein echo, in federnden wellen / vermisst mir die vorstadt. ich muss nicht (…)“ Das angesprochene Du kann hier wie im Selbstgespräch gelesen werden, aber auch als „das Gedicht“ selbst.

So wird die Selbstreflexion der Autorin zur Selbstreflexion des Textes. „Your Turn“ (3. Abteilung) – Englisch. „take a close look. perform.“ Die Musikerin Scheffler schreibt kurze Bewegungsbeobachtungen („a young mother throwing her baby up in the air only to catch her safely“), druckt auf der folgenden Doppelseite das vermutlich erfundene Kinderlied „little duck swim swim swim“ mit Noten ab („poem for singing“), um dann vier Zeilen auszufüllende Leerstellen von einer dann komplett leeren Seite folgen zu lassen – wie in einer dieser Kreativan-/einleitungen, die man überall bekommen kann (selbst Verkäuferinnen sollen inzwischen kreativ sein). Nach der Art: So geht’s, so einfach ist’s, und jetzt Du einmal mit, einmal ohne Hilfe. Deshalb, 4: „Nun zu den Regeln“, Collagen aus Naturbeobachtungen, Liebesschwüren und Anleitungen: „zucker, zucker, lange hand. also komm, diesen garten begießen / sein mehrwert liegt in der potenz. vertrau der szene (…)“ Man schaut auf das Cover und weiß genau: „Der Rest ist Resonanz“.

Doch dann, als ob der sich der Klavierlehrer kurz selbst an die Tasten setzt, „5: „Whiskers, Schnee“. (Whisker bedeutet Backenbart). „schließe eine lücke, rate den ursprung, / ertrink deine sinne am geländer, im wind“. Was hier alles evtl. angespielt wird: „cross the border, close the gap“, die Urspungssuche als Gegensatz zum Rhizom von Deleuze/Guattari, „im wind“ (Wolfgang Borchert. „Versuch es“). „6: Tides, Loops“ kehrt zum Anfang zurück (der Loop des Bandes), kommt mit handgeschriebenen Notizen, noch einmal Noten, allerdings zweistimmig, komplizierter, wie das Meisterstück nach den Lyriclessons. Es werden gezeigt: Performance, Beat, Note/Narrativ, Harmonies, Add-Ons, End – das regelhafte Dichten im Gegensatz zum Handverfassten, dem inspirierten Catch. „ankommen und sagen: das wars. / a place tall enough for my love.“ So sind „some men“ die ersten, „my love“ die letzten Worte des Bandes. Und zwischen Geschmeichelt- und Verliebt-Sein schwankt man dann auch.

Meersalz und Angstschweiß: Im Sonnenstrahl auf dem Sofa liegend habe ich die „tagebrüche“-Gedichte gelesen von Christoph Wenzel aus dem westfälischen Hamm. Und mit ihm gereist, wie man von Stein zu Stein im Dorfteich hüpft, rote Ampeln passierend, „treffen sich physik und physis im rot“) im Sand, die Dünen hinauf, auf dem Bett liegend, die Liebste besingend („und du erfindest einen film / der uns im abspann führt“). Es gibt Nach-Party-Momente, um 12, „jetzt / werden die fenster gekippt und die / kippen gelöscht draußen im beutel / läuten die biere vorübergehend den abend aus“. –

christoph-wenzel-tagebruecher-cover-170Manche Gedichte, kleines Manko so vieler Gedichte unserer Gegenwart, könnten auch als Part im Roman stehen, nutzen also nicht immer die FORM aus. Aber das sind wenige. Stattdessen zumeist: schöne Bilder (oder eben Steine, von denen man hüpft, ins Licht blinzelnd). Dass auch Radioaktivität vorkommt, ein Störfall (und das Buch ist von 2010), möchte man hier eigentlich kaum erwähnen, soll aber doch als Beweis fürs JETZT-Zeitige des Bandes gelten. Kein Kitsch. Es gibt Stellen, die mühelos nachzurappen sind: „ein ostfriesischer komplex und konkav / die schale ‚hell die himmel weich‘ über dem eichstrich / deich – deine suche nach einem nord- / wort schlechthin unter hochdruck- / gebieten die die sprache hier unterbricht“.

Alles, in allem, ein schillernd-schöner Band („In der brust ein pneunomisches trommeln“) und daher auch kein Wunder, dass der Autor längst en masse ausgezeichnet wurde, u.a. mit Stipendien der Staatskanzlei NRW und der Kunststiftung NRW. Bilder, wie durchs Münzfernrohr im Sommer gesehen: „die schwarze blende das lid nach ablauf der phase / wieder vor die landschaft“ et cetera. (Christoph Wenzel: „tagebrüche“, 108 Seiten, 12 Euro)

VoßWir und unsere Datenschatten: Auf der Klappe dieses erstmal sperrig klingenden Gedichtbands steht, jede Strophe bekäme „Botox in die Zeilen gespritzt, damit sie keine Falten schlagen“. Versprechen eingelöst: Während sich andere Dichter auf „Raumerkundungen“ begeben oder den ständigen Dialog mit Ingeborg Bachmann suchen, schreibt Florian Voß über: Al-Jazira, radioaktive Trümmer, Voodoo und Zombies, über: Kerosinbrüste, Robbie Williams und „Billy the Kid“-Regale. Da ist eine Menge Gegenwart drin, inklusive der Gaga-Zeilen:“Call it windows, and call me Ahab / und gib mir Manna im Tetra Pak“. Den Paul Celan-Anspielungstest besteht Florian Voß im ersten Gedicht und ein paar Seiten weiter kommt auch Rilke vor. Dazu gibt es ein Versprechen: „Auch du kannst eine Scream-Queen sein!“ Damit hat der Autor zwar noch nicht das Sonnett-Diplom bestanden. Aber: Er unterhält und, seine Botox-Gedichte schlagen tatsächlich keine Falten. Wer rauszufinden will, wie „Botox in Zeilen“ gespritzt wird, der liest am besten laut. Muss durchaus nicht gleich so laut wie bei einer Scream-Queen sein. Aber Spass ist mit diesem kleinen Band garantiert. Florian Voß: „Datenschatten, Datenströme, Staub“, Verlagshaus J. Frank, 80 Seiten, 13,90 Euro (Bild rechts ist ein Ausschnitt aus dem Buch).

Zum Abschluss wird getanzt: Anlässlich von „Dauernd Jetzt“, dem aktuellen Album von Herbert Grönemeyer schreibt die BILD von „schwebender Liebeslyrik“. Der NDR sieht das Spätwerk des Nuschlers kritisch, es passe eher „in einen Lyrikband“. Derwesten.de urteilt: „Grönemeyers Texte sind immer noch wie ein Lyrikbändchen für nachdenkliche Deutsche.“ Seltsame Vorstellungen von Lyrik haben die Kollegen da. Bevor das Feuilleton hyperventiliert. Grönemeyer-Texte klingen zum Beispiel so: „Die rosa Wolken sind verflogen / in den Köpfen kalte Wut / dicke Luft in den vier Wänden / irgendwie ist nichts mehr gut.“ Gut, gut, gut ist, dass es Erdmöbel-Sänger Markus Berges gibt, der 2010 mit seinem Roman “Ein langer Brief an September Nowak” bei Rowohlt debütierte und jetzt seine „liebeslieder“ im Bielefelder Aisthesis-Verlag rausbringt: 18 Jahre Lyrics, von „das ende der diät“ (1996) bis „kung fu fighting“ (2013), kombiniert mit Portraits unbekannter Menschen, die von Martina Göken gesammelt worden sind und an Martin „Gotti“ Gottschilds „Dia-Abend“ erinnern (hier im Blog).

616ayRaaoZLNicht dabei sind leider die kongenialen Erdmöbel-Neuübersetzungen großer Pop-Hits: „Einer wie wir/One of us“, „Nah bei dir/They long to be“, „Aus meinem Kopf/Can’t get you out of my head“ oder „Fahler als nur fahl/Whiter Shade of Pale“. Nein, ins Lyrikbändchen muss nicht, was Markus Berges hier textet, doch bringt es große Freude, Zeilen zu lesen wie: „und das bin ich / im nachtzug der bedingung / bedingungslosen liebe / da kommt ein tunnel und sie blinkt“ (Blinker) oder metrisch leicht verrutscht: „Hätte Sehnsucht Gewicht – Wieviel Zentner wöge ich“ (Wette unter Models).

Rike Scheffler, schon klar, ist von anderem Kaliber, weshalb man es ruhig einmal lassen kann, bei allen halbwegs geraden Lyrics aus der blinkenden Kirmes des Pop von „Lyrik“ zu sprechen, nur weil es auch in Versen daherkommen mag. (Hier geht es zum Beitrag über Markus Berges in 1LIVE Plan B mit Moderatorin Christiane Falk).

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1 Kommentar

  1. […] ich hier und hier mit Max von Malotki in 1LIVE Plan B thematisiert habe. Gegen „KollegInnen“ aus dem Fixpoetry-, Verlagshaus J.Frank- und Kookbooks-Umfeld kommt er aber nicht an.Es reicht, dass Kendrick Lamar Haftbefehl bereits […]

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